1449 - Der Knochentempel
die Augen.
Stevie stand neben ihr. Seine Stimme klang besorgt, als er fragte:
»Ist mit dir alles okay, Mum?«
»Das ist es. Mach dir mal um mich keine Sorgen.« Sie lächelte.
»Wir werden gleich Besuch bekommen. Danach sind wir das verdammte Ding endlich los.« Sie lächelte. »Ich bin mal gespannt, was mit diesem Schädel noch alles passiert.«
»Wieso?«
»Man wird ihn untersuchen. Vielleicht wird man auch noch nach einem Skelett suchen. Wer weiß? Möglich ist alles, aber ich will dieses Ding nicht in meiner Wohnung haben.«
Stevie schwieg. Er war enttäuscht. Er hatte sich schon überlegt, was er mit seinem Fund alles anstellen konnte. Die Freunde in der Schule hätten Augen gemacht. Die Mädchen wären bestimmt schreiend weggelaufen. Das konnte er sich nun abschminken.
»So, und jetzt werde ich die Reste von gestern aufwärmen«, sagte Betty.
»Die Nudeln?«
»Genau.«
Stevie strahlte. Wie bei vielen Kindern zählten Nudeln zu seinen Lieblingsgerichten. Diese hier waren mit Käse überbacken und schmeckten ihm besonders gut.
Betty Grinth verließ den Wohnraum und steuerte die Küche an.
Sie hatte soeben einen Fuß in den Flur gesetzt, als es an der Tür klingelte.
Die Frau blieb stehen. Sie schüttelte den Kopf und wunderte sich darüber, dass die Polizei schon so schnell bei ihr war. Der Mann am Telefon hatte etwas ganz anderes gesagt.
Je früher, umso besser. Mit diesen Gedanken eilte Betty Grinth zur Tür und öffnete.
Vor ihr stand kein Polizist. Ein fremder Mann schaute sie an. Das heißt, sie sah nur die Augen, denn das übrige Gesicht wurde von einer Wollmütze verdeckt.
Sie kam weder dazu, die Tür wieder zu schließen, noch einen Schrei auszustoßen, denn der Maskierte handelte blitzschnell, und Betty Grinth erlebte zum ersten Mal in ihrem Leben, was Gewalt ist…
***
Das kleine Haus lag wirklich idyllisch am Rand des Ortes. In der Nähe gab es einen kleinen Teich, auf dem schon wieder Enten schwammen, denn das Eis war längst getaut. Eine schmale Straße führte vor dem Haus vorbei in Richtung Kirche, deren Turm nicht zu übersehen war und der wie ein mahnender Finger in die Höhe ragte.
Die Landschaft zeigte ein winterliches Bild, auch wenn es nicht durch eine Schneedecke geprägt war. Kein Laub mehr an den Bäumen, und das Gras auf dem Boden hatte eine bräunliche Farbe angenommen.
Von der Straße her führte ein schmaler Feldweg auf das Haus zu, das mein Ziel war. Der Besitzer des Hauses hatte mich gebeten, ihm doch einen Besuch abzustatten. Zu mir ins Büro hatte er nicht kommen wollen, denn er fürchtete sich davor, erkannt zu werden.
Der Mann hieß Ampitius. Früher hatte er das Amt eines Bischofs bekleidet. Seit drei Jahren war er pensioniert und hatte sich in sein kleines, einsam stehendes Haus zurückgezogen, um ein anderes Leben zu beginnen.
Wohl nicht ganz, denn sonst hätte er sich nicht mit mir in Verbindung gesetzt und um meinen Besuch gebeten.
Ich fuhr mit dem Rover von der Straße ab und über den schmalen Weg auf das Haus zu.
Der Bischof hatte mich bereits gesehen. Er erwartete mich in der offen stehenden Tür, winkte mir zu und blieb auch weiterhin im Freien stehen. Er war mit einem dunklen Anzug bekleidet und trug darunter einen braunen Pullover. Sein Haar wuchs noch in voller Pracht und war weiß wie Schnee.
Ich stieg aus, reckte meine Glieder und dachte daran, dass die Sitze im Rover schon ziemlich ausgesessen waren. Mein Blick streifte den Himmel, der sich in einem winterlichen Grau zeigte. Die Wolken allerdings lagen sehr hoch. Aus ihnen fiel weder Schnee noch Regen.
Der Bischof streckte mir beide Hände entgegen. »Ich wusste doch, dass ich mich auf Sie verlassen kann, Mr Sinclair.«
»Nun ja, wenn ein Bischof ruft.«
»Nicht so voreilig. Denken Sie daran, dass ich pensioniert bin.«
»Sorry, das vergaß ich.«
Bein Näherkommen sah ich, dass er eine Brille trug. Allerdings war das Gestell so blass, dass es kaum auffiel. Die Haut zeigte noch eine gesunde Farbe, und obwohl der Mann die Siebzig überschritten haben musste, waren nur wenige Falten auf seiner glatten Haut zu sehen.
»Treten Sie ein, Mr Sinclair. Im Haus wartet ein warmer Tee auf Sie.« Er verzog den Mund. »Das Wetter ist ja nicht eben berauschend.«
»Aber normal für diese Jahreszeit.«
»Da stimme ich Ihnen zu.«
Das Haus war aus Backsteinen errichtet worden. Im Innern sah ich davon nichts mehr. Hier herrschten helle Wände vor. Der Anstrich erinnerte mich an den in einer
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