1452 - Entscheidung am Ereignishorizont
und früher hatte er immer geglaubt, daß, wenn er erst einmal den Wall überwunden hätte, eine goldene Zeit anbrechen würde, in der er all sein Geschick würde ausspielen können.
Aber statt den Nakken und Cantaro Möbiusstreifen als Glücksbringer und Placebos als Glücklichmacher zu verhökern, mußte er die kahlen Wände leerer Räume dieses Schrotthaufens untersuchen. Das heißt, nicht einmal das durfte er, denn dafür hatte er einen Roboter.
Besonders setzte ihm die Tatsache zu, daß draußen Stunden vergingen, während er im Innern des Schwarzen Loches Tage seines Lebens mit Unsinn vergeudete. Irgendwann würde es ihm noch so gehen wie jenem bedauernswerten Kameraden, der in dieser langweiligen Hölle aus milchigem Licht und einer tödlichen Singularität den Verstand verloren hatte.
Rudov kratzte sich am Kinn. Während hier sein Bart wie Unkraut sproß, würde er außerhalb des Ereignishorizonts noch ein glattes Gesicht haben. Er haßte dieses Erbe seiner Urahnen. Wenn man sich weiterentwickelte, man sein Raubtiergebiß verlor - warum konnten einem dann nicht auch die Haare ausgehen, die man nicht mehr als Warmhaltepackung brauchte? Ein Bart war doch keine Zier. So gesehen, war er gar kein typischer Springer, denn denen sagte man nach, daß sie sich nur mit einer Matratze im Gesicht wohl fühlten.
Er haßte aber auch gewisse Eingriffe in den natürlichen Körperhaushalt. Dazu gehörte es, seinen Haarwuchs künstlich abzutöten - aber auch, sich zu enthaaren.
Was hatten sie hier noch zu suchen?
Irgend so ein Eierkopf, nein, nicht irgendeiner, sondern dieser Ambush, hatte behauptete, daß in dem Heckteil einst Gen-Experimente gemacht worden waren. Er schloß dies aus den Daten der Stationsspeicher. Und darum war Reno angehalten worden, seine Leute nach solchen Spuren suchen zu lassen. Irgendein Eiferer - Rudov hatte nicht erfahren, wer diesen zweifelhaften Erfolg zu verbuchen gehabt hatte - war tatsächlich im hintersten Winkel eines vergessenen Raumes auf Gewebespuren gestoßen. Man hatte bewiesen, daß es sich um Gewebe von Bekassu handelte. Nachdem die Forscher einmal Blut geleckt hatten, wollten sie mehr solcher Beweise. „Und was bringt es?" hatte Rudov seinen Kommandanten gefragt. „Darüber zerbrich dir lieber nicht dein Cromagnongehirn", war Reno Yantills Antwort gewesen; er zog ihn gerne wegen seines üppigen Bartwuchses auf.
Er würde diesem verdammten, eingebildeten Drakisten schon noch die Meinung sagen. „He, Doc, was gefunden?" rief er dem Roboter aus der Ecke zu, in der er es sich gemütlich gemacht hatte. Er öffnete dabei nicht einmal die Augen. Er dachte an das „Imperium-Alpha", die sündigste Lusthöhle von ganz Asporc. Eigentlich ließe es sich außerhalb der Milchstraße recht gut leben.
Was hatte er also hier, innerhalb der Wälle, wo keine Geschäfte zu machen waren, überhaupt zu suchen? „Gibt's was, Doc?" fragte er wieder, weil er die Antwort des Roboters verschlafen hatte. „Was gefunden, Doc?"
Heutzutage hatten Roboter ganz ausgetüftelte Lernkreise, die sie in die Lage versetzten, sich mit jedweden Partnern in deren eigenem Slang zu verständigen und sich ihren persönlichen Eigenheiten anzupassen. Da Rudov mit diesem Exemplar bereits seit vier Tagen zusammenarbeitete, verstanden sie sich auf dieser Ebene recht gut. „Jawohl", kam die Antwort. Rudov war auf einmal hellwach und sprang auf die Beine. Der Roboter fuhr, Rudovs Ausdrucksweise imitierend, fort: „Jede Menge Restspuren von antiseptischem Zeug, Lysozyme und dergleichen bakterientötende Stoffe. Genug, um die Medo-Station der BLUEJAY auf Monate hinaus zu versorgen.
Man braucht es nur zu sammeln. Aber nichts Brauchbares; kein Gewebe von höherentwickelten Geschöpfen wie dir."
„Und nur um mir das zu sagen, störst du meine Ruhe?" schimpfte er und legte sich wieder hin.
Er hatte sich an das kalte, harte Metall inzwischen gewöhnt und vermochte sich sogar schon einzureden, daß er auf einem weichen, körpergerechten Pneumobett lag.
*
„...gibt's was, Doc?"
„Es ist kein Tumor", sagte der Robot. „Du bekommst einen Zwilling, Leonard."
Leonard war sein zweiter und nicht sein Rufname, aber er ließ es sich gefallen. Er ruckte im Bett hoch. „Wie soll ich das verstehen?" fragte er. „In dir wächst ein Zwilling, ein Klon, ein genaues Ebenbild von dir", erklärte der Roboter. „Er ist für deine Leibschmerzen verantwortlich, schließlich bist du nicht dafür gebaut, einen Klon auszutragen.
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