1456 - Catwalk in die Hölle
große Augen.
Glenda war genauso perplex wie ich. »Das verstehe ich nicht«, flüsterte sie. »Wirklich…«
Wir hatten damit gerechnet, eine normal angezogene Frau vorzufinden. Doch die Frau war unter dem Mantel so gut wie nackt. Nur ein hautfarbener Slip verdeckte die letzte Blöße, und sie trug Schuhe an den Füßen.
»Jetzt können wir raten, John, und ich denke, dass wir die Lösung bald haben.«
»Du denkst an eine Prostituierte?«
»Klar.« Glenda präzisierte ihre Antwort. »Und zwar an eine Frau, die es geschafft hat, irgendwelchen männlichen Schweinen zu entkommen, die sie in irgendeinem Dreckloch eingesperrt haben, damit sie den Kerlen zu Willen ist.«
»Du bist aber heftig.«
»Schau sie dir doch nur mal an! Was schließt du daraus? Oder was kann man daraus schließen?«
»Dass sie ungewöhnlich bekleidet ist. Aber ich habe keine Spuren von Gewalt an ihrem Körper gesehen.«
»Klar. Da gibt es ja auch noch den Rücken.«
Ich öffnete die obersten beiden Knöpfe erneut und legte dann meine flache Hand auf die Haut unter dem Hals. Mir war vorhin bei einer Berührung schon etwas aufgefallen. Nun wollte ich es genau wissen, und meine Augen weiteten sich.
»Was hast du?«
»Die Haut ist warm.«
»Zum Glück«, sagte Glenda. »Sie hätte sich bei diesen Temperaturen leicht eine Unterkühlung holen können.«
»So meine ich das nicht. Ich gehe vielmehr davon aus, dass es sich hier um eine unnatürliche Wärme handelt. Du kannst es ja selbst mal testen.«
»Das werde ich auch.«
Glenda hatte mir nicht so recht glauben wollen, aber diese Meinung musste sie revidieren, denn auch sie fühlte, dass die Wärme der Haut nicht normal war.
»Das ist schon unnatürlich.«
»Eben.«
»Soll ich dich nach einer Erklärung fragen?«
Ich winkte ab. »Lieber nicht. Ich denke, dass dies eine Sache für den Fachmann ist.«
Wir waren beide der Meinung, dass sich ein Mediziner um die Person kümmern sollte. Wir wollten einen Arzt alarmieren, aber die Fremde hielt uns davon ab.
In den letzten Minuten hatte sie die Augen geschlossen gehabt.
Jetzt sprangen sie plötzlich auf, und sie starrte uns an. Für einen Moment war ihr Blick klar, wenig später las ich so etwas wie Abwehr und Angst darin. Zugleich bewegten sich die Lippen, und sie begann, schnell und hektisch zu sprechen, wobei ihre Worte kaum zu verstehen waren.
Glenda und ich hielten uns zurück. Es gab keinen Kommentar von unserer Seite. Wir wollten hören, was diese fremde Person zu sagen hatte. Das herauszufinden war verdammt schwer.
Etwas verstanden wir trotzdem. Ein paar Mal fiel der Begriff Hölle und das in Verbindung mit Feuer. Dann trat jedes Mal der Ausdruck einer irrsinnigen Angst in ihre Augen. Für uns sah es aus, als wollte sie schreien, aber sie schaffte es nicht. Es wurde immer nur ein Schluchzen oder Weinen.
Ich redete beruhigend auf sie ein. Es hatte keinen Sinn. Sie sprach weiter.
»Weg – ich – ich – will nicht mehr. Ich muss weglaufen. Bitte, ich kann nicht mehr länger bleiben. Es ist zu schlimm. Ich will nicht, verdammt noch mal…«
»Was wollen Sie nicht?«, flüsterte Glenda.
Nichts kam mehr von ihr. Sie blieb stumm. Sie lag wieder so starr, dass man an eine Tote denken konnte. Auch ihre Haut hatte sich nicht verändert. Sie blieb so bleich, wie wir sie kennen gelernt hatten. Es war kein Fortschritt zu erkennen.
»Nicht mal ihren Namen kennen wir«, brummte ich.
Da hatte ich das richtige Thema angesprochen. »Warte es ab, John, ich schaue mal in den Manteltaschen nach.«
»Gut.«
Glenda durchsuchte die Manteltaschen nicht nur an der Außenseite. Ich hielt mich dabei zurück. Wenn sie etwas fand, würde sie es mir schon sagen.
Hinter mir hörte ich ein leises Klopfen. Als ich mich umdrehte, sah ich Luigi in der Tür stehen.
»Na, wie geht es der Frau?«
»Weder besser noch schlechter. Wir kennen noch nicht mal ihren Namen.«
»Dann scheint sie richtig weggetreten zu sein.«
»Was ist mit Ihnen, Luigi? Kennen Sie die Frau?«
»Nein. Wieso?«
»Sie haben sie demnach noch nie gesehen?«
»So ist es.«
»Schade.«
»Meinen Sie denn, dass ich sie hätte erkennen müssen?«
»Nein, nein, es war nur eine Frage und auch mehr ein Versuch. Vergessen Sie es.«
»Und was geschieht mit ihr, Mr Sinclair?«
»Das ist ganz einfach. Wir werden dafür sorgen, dass sie in ein Krankenhaus kommt und dort untersucht wird. Mehr können wir nicht für sie tun.«
»So etwas dachte ich mir.« Luigi kam näher, um noch einen
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