1459 - Die Hexe und ihr Henker
beinahe über ihre eigenen Füße gestolpert.
Am Thekenblock kam sie zur Ruhe. Nicht weit entfernt hing ein Spiegel, in den sie schaute.
Sie sah sich, und sie sah eine bleiche Person, die Ähnlichkeit mit einem Gespenst hatte.
Wahnsinnig schnell schlug ihr Herz. Sie war völlig überfordert und wusste nicht, wie sie sich verhalten sollte. In die Kabine zu gehen und die Fremde anzusprechen, das traute sie sich nicht. Sie stellte sich die Frage, wie jemand nur so aussehen und auch damit leben konnte. Dafür hatte sie keine Erklärung.
Der Kabinen Vorhang befand sich auch in ihrem Blickfeld. Er bewegte sich nicht, es war auch nichts zu hören, und so fragte sich Emma, was diese Person da eigentlich tat. Wahrscheinlich war sie nur mit sich selbst beschäftigt und in den Anblick ihres Körpers vertieft.
Allein kam Emma Smith mit der Situation nicht zurecht.
Ich muss mir etwas einfallen lassen, dachte sie. Hier muss die Besitzerin kommen oder sogar die Polizei.
Ihr Handy!
Sie war so durcheinander, dass sie nicht mal mehr wusste, wo sie es gelassen hatte. Jedenfalls trug sie es nicht am Körper, und ihre Gedanken wurden unterbrochen, als sich die Tür zur Boutique öffnete und eine Kundin den Laden betrat.
Es war Sheila Conolly!
***
Sheila war eine Frau, die sich in besonderem Maße für Mode interessierte. Es hatte Zeiten gegeben, da hatte sie gemeinsam mit einer Freundin sogar eine Kollektion entworfen. Das hatte einige Zeit zwar Spaß gemacht, aber letztendlich hatte sie sich den Stress zweimal im Jahr nicht mehr antun wollen.
Jetzt blieb sie mehr im Hintergrund und hatte der Freundin die Firma überlassen, wobei Sheila Conolly noch als stille Teilhaberin fungierte.
Die Mode war noch immer Sheilas Hobby, und so war sie immer sehr interessiert an den Trends für die nächste Saison.
In diesem Geschäft war sie schon öfter fündig geworden. Außerdem kannte sie die Besitzerin recht gut.
Die war nicht im Geschäft, wie Sheila mit einem Blick feststellte.
Dafür eine Mitarbeiterin, von der Sheila nur den Vornamen Emma kannte. Sie sah beim Eintreten, dass Emma sich im Kassenbereich aufhielt und in einer Pose stand, die sie nicht von ihr kannte. Sie sah aus wie jemand, der etwas Schlimmes erlebt hatte. Die Arme leicht angehoben, die Hände zu Fäusten geballt.
Zwar hatte sie Sheila den Kopf zugedreht, nur zeigte ihr Gesicht einen Ausdruck, der ängstlich und zugleich leer war, als könnte sie gewisse Dinge nicht begreifen.
Verwundert schritt Sheila durch das Geschäft und sagte mit halblauter Stimme: »Guten Abend, Emma.«
Erst jetzt nahm die Frau Sheila richtig wahr. Sie drehte sich zu ihr um, und auf ihrem Gesicht zeichnete sich die Spur einer Erleichterung ab.
Sheila legte der Verkäuferin eine Hand auf die Schulter. »Geht es Ihnen nicht gut, Emma?«
»Ja…«
»Was ist denn passiert?«
Emma Smith rieb mit beiden Handflächen über ihre Wangen. Ihre Augen wirkten dabei wie zwei Glaskugeln. Der Blick war weiterhin ins Nichts gerichtet. Sie schaffte es auch nicht, etwas zu sagen, und Sheila musste schon nachfragen, um endlich eine Antwort zu erhalten.
»Sagen Sie bitte, was passiert ist. Sie sehen ja aus, als wäre Ihnen der Leibhaftige begegnet.«
»So ähnlich…«
»Bitte?«
»Ja – nein.« Sie schüttelte den Kopf. »Es war nicht der Leibhaftige«, flüsterte sie. »Es war eine Frau…«
»Und weiter?«
»Eine Kundin.«
Sheila konnte sich keinen Reim darauf machen. Sie versuchte zu lächeln, was ihr jedoch misslang.
»Ja, sie war – mein Gott, sie ist noch hier!«
»Wo?«
»In der Kabine dort.« Emma deutete nach vorn.
Sheila hätte jetzt hingehen und den Vorhang zur Seite ziehen können, das aber tat sie nicht. Ihr kam alles sehr suspekt vor.
»Na und? Ist das schlimm?«
»Nein, Mrs Conolly, aber die Kundin…«
»Was ist denn mit ihr?«
Emma Smith überlegte, ob sie Sheila alles erzählen sollte. Ja, das wollte sie. Es musste einfach raus. Sie konnte es nicht für sich behalten, und aus ihrem Mund drangen die scharf geflüsterten Worte wie ein Wasserfall. Sie hielt kaum inne, redete schnell und klammerte sich dabei mit einer Hand an Sheilas linkem Arm fest.
»So, jetzt wissen Sie alles.«
Sheila gab zunächst keine Antwort. Sie wollte lächeln, aber auch das fiel ihr schwer.
»Glauben Sie mir nicht?«
»Ja, schon. Es ist nur so ungewöhnlich. Eine nackter Körper, der mit Narben übersät ist…«
»Nein, nicht mit Narben.« Emma schüttelte den Kopf. »Das sind Wunden, Mrs
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