1459 - Die Hexe und ihr Henker
tot war, damit hatten die drei Burschen nicht rechnen können – und auch nicht mit ihrem anschließenden Rachefeldzug. Einen der Peiniger hatte sie mit einer Spitzhacke erschlagen, die beiden anderen schwer verletzt. Ob sie beide durchkommen würden, stand in den Sternen. Und die Rächerin gab es auch nicht mehr. Sie war durch das Feuer der Hölle verbrannt worden.
Das alles wussten Bill und ich, denn wir hatten die Mörderin gejagt und gestellt. Nun wollten wir an diesem Abend den Fall noch mal Revue passieren lassen. Bill wollte sowieso in die City, weil seine Frau Sheila hier etwas zu erledigen hatte.
Ich hatte mein Glas bis zur Hälfte leer getrunken, als Sheila und Bill den Pub betraten. Mein Winken sahen sie sofort und kamen auf meinen Tisch zu.
Ich stand auf, begrüßte Sheila durch eine Umarmung und zwei Küsschen rechts und links auf die Wangen und schlug Bill auf die Schulter.
»Setzt euch doch.«
»Ich nicht«, sagte Sheila.
Etwas überrascht schaute ich sie an.
»Sie will noch shoppen«, erklärte Bill.
Mein Lächeln wurde zu einem Grinsen. »Ah ja«, sagte ich nur. »Da kann es je ein längerer Abend werden.«
Sheila schüttelte den Kopf. »Auf keinen Fall. Ich möchte mich nur nach einer weißen Hose für den Sommer umschauen. Ich bin schnell wieder zurück. Dann können wir noch irgendwo etwas essen gehen.«
Bill küsste sie auf die Wange. »Lass dir ruhig Zeit, Liebes. Ich weiß, du hast ja keine Sommerhosen.«
»Haha. Ich habe mich für die Farbe weiß entschieden. Und da sieht es wirklich nicht gut aus.«
»Klar doch.«
Die Diskussion war beendet. Sheila lächelte uns kurz zu, machte kehrt und verschwand.
Bill setzte sich.
»Was willst du trinken?«
»Gibst du einen aus?«
»Heute schon.«
»Dann werde ich mir einen guten doppelten Scotch genehmigen.«
»Tu das.«
»Außerdem brauche ich nicht zu fahren. Die Fahrt zurück will Sheila übernehmen. Wir haben ihren Wagen genommen.«
»Das war richtig.«
Ein Kellner trat an unseren Tisch. Er war ein stockdürrer Mensch, der nur noch ein Auge hatte.
»Was darf ich dem Herrn bringen?«
Bill gab seine Bestellung auf, drehte den Stuhl etwas zur Seite und streckte seine Beine aus. Er grinste breit und leckte sich die Lippen, als man ihm sein Getränk brachte.
»Auf uns, alter Geisterjäger und darauf, dass wir noch lange auf dieser Erde wandeln können.«
»Du sagst es. Cheers!«
***
Emma Smith hielt sich am Vorhang fest und glaubte, zu Eis geworden zu sein. Der Anblick der Frau hatte sie dermaßen geschockt, dass sie nicht in der Lage war, weiter zu atmen. Sie konnte sich auch nicht bewegen. Sie hörte nur ihr Herz laut schlagen und hoffte, dass dieses Geräusch nicht von der Kundin gehört wurde.
Es hatte sich nichts verändert. Auch die Kundin bewegte sich nicht, aber darum ging es Emma Smith nicht.
Es war die Kundin selbst. Es war ihr Körper, mit dessen Anblick sie nicht fertig wurde. Von der Figur wollte sie nicht sprechen und auch nicht darüber nachdenken, wie perfekt sie war. Emma sah die zahlreichen Wunden und Flecken, die ein makabres Muster auf der Haut hinterlassen hatten, als sollten sie eine besonders brutale Landkarte darstellen. Manche Wunden sahen aus, als hätte jemand mit einem Messer in die Haut geschnitten. Andere wiederum sahen wie Hautabschürfungen aus.
Auch die geronnenen Blutflecken, die sich auf dem Körper verteilt hatten, waren nicht zu übersehen.
Die Verkäuferin hatte durch den Anblick ihr normales Denken und Fühlen verloren. Sie kam sich vor wie in eine andere Welt versetzt. Hier, wo man doch sehr auf Schönheit und Idealfigur achtete, musste sie sich dieses Drama anschauen.
Schreien, Weinen, Weglaufen – es kam ihr dabei einiges in den Sinn, doch sie tat nichts. Sie blieb stehen, besah sich den entstellten Körper und stellte fest, dass die Kundin überhaupt nichts tat. Sie war zwar nackt, doch sie dachte nicht im Traum daran, das in die Kabine mitgenommene Kleid überzustreifen. Es hing noch immer über einem Bügel an einem Haken.
Sie starrte nur auf ihren Körper!
Und das war gut so, denn so hatte sie keinen Blick für die Umgebung und sah auch Emma Smith nicht, die durch den Spalt in die Kabine schaute.
Die Verkäuferin wusste nicht, wie lange sie auf der Stelle gestanden hatte. Die Zeit war irgendwie eingefroren. Irgendwann gab sie sich einen Ruck und taumelte zurück. Von einem normalen Gehen konnte man nicht sprechen. Es war in der Tat ein leichtes Taumeln, und sie wäre
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