1460 - Lockruf des Trolls
Motor abgestellt hatte und wir ausgestiegen waren, hielt uns eine seltsame Stille umfangen. Ich war in den Jahren für so etwas sensibilisiert worden und spürte deshalb genau, wenn etwas nicht stimmte.
Auch Justine Cavallo schien sich unwohl zu fühlen. Ihre Augen waren leicht verengt, und als ich ihr eine Frage stellen wollte, da kam sie mir zuvor.
»Es gefällt mir hier nicht.« Ich nickte. »Mir auch nicht.« Zwei Schritte ging ich zur Seite. »Es ist einfach zu still. Außerdem weiß Al McCormick, dass wir kommen. Er hätte uns erwarten müssen. Warum zeigt er sich nicht?«
Justine nahm sich die linke Seite des Wohnmobils vor, ich kümmerte mich um die rechte. Ich hatte die hintere Ecke kaum passiert, da traf mich der Schock.
Der Mann lag nur wenige Schritte vor mir im Gras, und wenn mich nicht alles täuschte, war er tot. Der Grauhaarige hatte eine verkrümmte Haltung eingenommen. Nicht weit entfernt lag ein Gewehr im Gras, und als ich mit langsamen Schritten näher an ihn heranging, blieb mir das Blut nicht lange verborgen, das aus den Wunden am Hals gesickert war und das Gras benetzte.
Da Justine mir so etwas wie Rückendeckung gab, konnte ich mich um den Toten kümmern. In Kopfhöhe kniete ich mich neben ihn und sah augenblicklich, was mit ihm passiert war.
Scharfe Gegenstände hatten ihm die Haut am Hals aufgerissen und die Schlagader zerstört.
Die Troll-Vampire!
Jetzt glaubte ich an sie!
***
Es tat mir leid, in die ausdruckslosen Augen des Mannes zu blicken.
Der Mund mit den blassen Lippen war nicht geschlossen. Mir blieb nichts anderes übrig, als Al McCormick die Augen zu schließen. Dabei spürte ich eine große Leere in mir, zugleich aber auch eine gewisse Wut und die Verzweiflung darüber, dass wir zu spät gekommen waren.
Hinter mir hörte ich es rascheln. Justine kam näher. Aus meiner Froschperspektive wirkte sie übergroß. Beim Gehen schlenkerte ihr Mantel hin und her.
Sie blieb stehen, als ich sagte: »Schau dir das an!«
Sie bückte sich.
Ich ließ der Vampirin Zeit, die Wunden am Hals zu untersuchen, was sie auch sehr genau tat. Einige Male schüttelte sie dabei den Kopf, ohne einen Kommentar abzugeben.
»Was hast du?« fragte ich.
»Sie haben wohl das Blut getrunken. Sicher bin ich mir nicht, wenn ich mir die Wunden anschaue.«
»Wieso?«
»Ha. Dilettanten!« spie sie hervor. »Das waren wirklich Anfänger oder keine Vampire. So würde niemand von uns beißen, das kann ich dir versichern. Die haben die Haut mit ihren Zähnen zerfetzt. Vielleicht haben sie am Blut geleckt, aber ob sie es wirklich getrunken haben, wie wir es tun, um weiter zu existieren, daran kann ich nicht glauben.«
»Also keine echten Vampire«, stellte ich fest.
Sie schüttelte den Kopf. »Nein, keine wie du und ich sie kennen. Wenn sie sich Vampire nennen, dann ist es wohl eher eine Abart.«
Sie zuckte mit den Schultern und lächelte kalt. »Vampir-Trolle. Ich bin gespannt, ob sie uns auch anfallen werden.«
»Erst müssen wir sie finden.«
»Richtig.«
Ich schwieg, und während ich auf den Toten schaute, dachte ich wieder daran, was man sich über die bösartigen Zwergwesen erzählte. Sie raubten Kinder, sie saugten ihnen die Seele aus, aber sie tranken nicht unbedingt ihr Blut. Man hatte in der Nähe tote Kinder gefunden, die der Sumpf über lange Jahre hinweg verborgen gehalten hatte, aber von echten Vampiren war nicht die Rede gewesen.
Das sah ich auch jetzt noch so. Wenn man eine Beurteilung verlangte, dann würde ich eher von einer Vampir-Abart sprechen.
Justine stand wieder auf. Sie hob das Gewehr an, überprüfte es und sagte, als sie es über ihre rechte Schulter gehängt hatte: »Es ist daraus geschossen worden. Genutzt hat es ihm nichts. Die andere Seite ist stärker und schneller gewesen.«
Ich nickte und ging zum Wohnmobil, öffnete die Seitetür und schaute hinein. Meine Befürchtung, dass sich im Innern ein Troll aufhalten könnte, bewahrheitete sich nicht. Der Wagen war leer, und so konnte ich mich wieder um den Toten kümmern.
»Wir legen ihn in den Wagen.«
»Gut.«
Justine half mir. Der Körper war nicht eben leicht, aber sie hob ihn locker an. Ich dachte daran, dass sie weit größere Kräfte besaß als ein normaler Mensch, und sie war es schließlich auch, die den Toten in den Wagen trug.
Auf einer der Schlafbänke legten wir ihn nieder. Ich überlegte, ob ich Sir James anrufen sollte, entschied mich aber dagegen. Wichtig war jetzt, dass wir die Mörder McCormicks
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