147 - Stunde X
ihm schließlich die rote Kapuzenkutte über. Dann half er ihm in seinen hohen Lehnstuhl.
Er reichte ihm einen mit Blut gefüllten Silberpokal.
Erzvater trank in großen, gierigen Schlucken. Die Traumbilder standen ihm überdeutlich vor den blinden Augen.
Als er satt war, stellte er den Pokal auf dem Tisch neben seinem Lehnstuhl ab. Baruk wischte ihm die fahlen Lippen mit einem feuchten Tuch ab. »Jetzt bin ich bereit«, sagte Erzvater. »Jetzt will ich den Boten empfangen.«
Baruk nickte und verließ die Kammer. Wenig später kehrte er mit einem kleinen und ungewöhnlich stämmig gebauten Nosfera in einer schwarzen Kutte zurück. Er streifte die Kapuze vom haarlosen Schädel und sagte: »Blut und Dunkelheit auf all deinen Wegen, Erzvater.«
»Blut und Dunkelheit mögen auch deine Wege säumen, Kurat.« Erzvater erkannte den Boten an seiner Stimme. »Was hast du mir zu sagen?«
»Zaritsch Black ist nach Westen aufgebrochen. Er will an einem großen Kriegsrat gegen den Feind am Kratersee teilnehmen und hat mich gebeten, dich davon zu unterrichten. Die Daa’muren, so sagt er, seien im Begriff, eine gewaltige Sonne erstrahlen zu lassen. Alle Völker und Stämme der Erde wären nun zum Kampf berufen, und wenn er zurückkommt, brächte er in dieser Sache eine Botschaft vom Sohn der Finsternis mit, eine Botschaft an die Nosfera von Moska.«
Erzvater rieb sich nachdenklich das Kinn. Seine Vision kam ihm wieder in den Sinn. »Eine Botschaft von Maddrax? Nun, warten wir es ab. Ist das alles?«
»Ja, Erzvater, das ist alles.«
»Danke, Kurat. Gib mir Bescheid, wenn der Zaritsch zurück ist.«
Kurat verneigte sich. Rückwärts ging er zur Tür und zog sich dabei wieder die Kapuze über den Schädel.
»Warte noch, Kurat.« Erzvater hob die Rechte. »Ich hatte einen Traum. Sieh zu, dass du einen Propheten findest, der sich auf das Deuten von Großen Träumen versteht. Ich muss wissen, was Murrnau mir mitteilen will…«
***
Kanalküste, Mitte September 2521
»Was glaubst du, mein treuer Chorr’nizz – werden wir einen Weg über den Meeresarm finden?« Die Königin lächelte. Sie war voller Zuversicht.
»Du wirst die Insel trockenen Fußes erreichen, meine Königin.« Chorr’nizz hielt seine Androne dicht an ihrer Seite.
Der Anführer ihrer Leibgarde, ein Spinnenartiger namens Ul’anbar, sah es mit Missvergnügen. »Notfalls werde ich dir meinen Leib als Brücke über das Wasser zur Verfügung stellen.«
Sie warf den Kopf in den Nacken und lachte, wie nur Menschen lachen konnten. »Oh, mein lieber, dummer Chorr’nizz! Was für ein Unsinn du manchmal redest! Aber deiner Treue traue ich jede Tollkühnheit zu!«
Der Stolz sprengte Chorr’nizz schier sein mittleres Körperglied. Kein Wort brachte er mehr heraus.
Dreiunddreißig Großspinnen ihrer Leibgarde begleiteten die Königin zur Küste. Chorr’nizz benutzte eine eigene Androne. Er und die Königin flogen dicht über dem Boden. Hin und wieder legten sie eine Rast ein, damit die Spinnen aufholen konnten.
Den Entschluss seiner Königin, am Kriegsrat auf der britanischen Insel teilzunehmen, betrachtete Chorr’nizz mit Misstrauen. Niemals jedoch hätte er gewagt, seine Bedenken ihr gegenüber zu formulieren. Die Königin hielt große Stücke auf diesen Menschen Maddrax, der die Führung der Allianz beriet.
Ch’zzarak sog die Luft durch die Nase ein. Schon schnupperte sie die salzige Meeresluft. Sie war voller Zuversicht. Keine Angst, kein Zweifel, keine Sorge trübten ihren Verstand und ihr Gemüt. Ihr Volk hatte immer schon alle Katastrophen überlebt, sogar
Kristofluu
und seine Auswirkungen. Warum sollte es diesmal anders sein?
Maddrax’ Nachricht war einen Tag nach der Rückkehr von Chorr’nizz und seinen Spähern gekommen. Der blonde Commander hatte das Funkgerät dazu benutzt, das sie als Verbündete der Allianz bei ihrem letzten Besuch in London erhalten hatte. Maddrax hatte ihr die Funktionsweise zu erklären versucht: Hoch über ihnen gäbe es eine uralte Raumstation, über die alle Worte, die man dem Gerät anvertraute, weitergeleitet würden, ohne von der Kometenstrahlung in Erdnähe gestört zu werden.
Begriffen hatte Ch’zzarak das zwar nicht, aber sie begnügte sich mit dem Wissen, dass es funktionierte.
»Da!« Die Königin streckte ihren anmutigen Menschenarm und ihren krallenbewehrten Zeigefinger aus. »Das Meer!«
Tatsächlich – am Horizont glitzerte das endlos scheinende Gewässer in der Abendsonne. Chorr’nizz schickte
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