1474 - Der Schnitter
die Hand entgegen.
»Schlag ein.«
»Gut!«
Der Handschlag dauerte länger als gewöhnlich. Sie redeten noch miteinander und schworen sich, dass keiner den anderen reinlegen würde. Paris sollte bald ihnen beiden gehören. Zumindest was den Drogenmark anging.
Der Bund war geschlossen. Die Verkrampfung gab es nicht mehr.
Die Hände lösten sich voneinander, über die Lippen der Männer huschte ein Lächeln, dann trafen sie Anstalten, sich zu erheben.
Ein leiser Pfiff warnte sie.
Einer der Leibwächter hatte ihn ausgestoßen und durch diese Reaktion auch den zweiten aufmerksam gemacht. Der Typ schaute hoch und sah, dass sein Kollege nach links deutete.
»Was ist dort?«
»Ich weiß es nicht, aber wir werden nachsehen.«
Jetzt waren auch die beiden Bosse aufmerksam geworden. »Was hast du gehört?«
»Ein Geräusch, das mir nicht passt. Das war bestimmt kein Vogel, der hier gelandet ist.«
»Dann seht nach.«
»Das wollten wir gerade.«
Die beiden Männer huschten weg. Nicht zu unserer Seite hin, sondern in die entgegengesetzte. Da hatten wir großes Glück gehabt, aber was die beiden gehört hatten, blieb uns verborgen.
Wir verhielten uns still und reduzierten sogar den Atem.
Die beiden Bosse saßen nicht mehr. Sie standen sich gegenüber, als würden sie sich belauern.
»Du hast niemanden geschickt, Hassan, oder?« fragte der Mann mit dem Stiernacken.
»Nein, ich schwöre. Und du?«
»Ich auch nicht.«
»Wer könnte denn Lunte gerochen haben?«
»Keine Ahnung. Die beiden werden es herausfinden.«
Hassan war da misstrauischer. »Denk daran, dass Paris ein heißes Pflaster geworden ist. In der letzten Zeit hat es Morde gegeben, die uns nicht gefallen können.«
»Das weiß ich, aber ich stecke nicht dahinter.«
»Man spricht von einem wandelnden Tod.«
»Ja, der Sensenmann. Ich hörte es von einem Bekannten, der bei der Polizei ist.«
Die Bosse schwiegen. Geheuer war es ihnen nicht, das sahen auch wir. Ihre Waffen hielten sie zwar noch nicht in den Händen, aber ihre Haltung deutete an, dass sie bereit waren, sie zu ziehen und auch einzusetzen.
Noch horchten sie den Geräuschen nach, die die Leibwächter verursachten. Sie selbst waren zwar nicht mehr zu sehen, aber sie hatten Lampen eingeschaltet, deren Lichtfinger in verschiedene Richtungen strahlten.
Es passierte urplötzlich. Wir hörten den Schrei des Mannes. Dabei tanzte der Lichtarm wie eine helle Schlange in die Höhe, und dann erklang ein undefinierbares, aber irgendwie auch schreckliches Geräusch, dem ein Schrei und ein Fluch folgten und der rasende Abschuss von Schüssen, die die Stille zerrissen.
Die beiden Bosse fuhren herum. Sie drehten uns den Rücken zu, und auch wir waren nicht mehr liegen geblieben.
»Du Schwein! Du – du…« Die Stimme des Leibwächters überschlug sich, bis sie kurze Zeit später in einem Röcheln endete. Ein dumpfer Aufschlag folgte noch, dann war es still.
Ich kannte diese Art von Stille. Man konnte sie auch als tödlich bezeichnen, denn ihr war immer etwas Schreckliches vorausgegangen.
Das war auch hier nicht anders. Die beiden Bosse hatten ihre Waffen gezogen. Nur sahen sie bisher kein Ziel.
Das änderte sich auf eine furchtbare Art und Weise. Aus der Deckung neben dem Grillplatz warf jemand etwas dorthin, wo sich die beiden Bosse aufhielten.
Es war die blutige obere Körperhälfte eines der beiden Leibwächter.
Genau jetzt wussten wir, dass der Schnitter da war!
***
»Es gefällt mir nicht«, sagte Mama Rosa. »Nein, es gefällt mir ganz und gar nicht.«
»Was denn?« fragte Sandrine.
»Dass Gomo und Toto noch nicht zurück sind.« Mama Rosa schüttelte den Kopf. »Ich hätte sie nicht gehen lassen sollen.«
»Aber sie wollten sich nur umsehen. Und bis jetzt ist ja nichts passiert.«
»Bist du dir da sicher?«
»Eigentlich schon.«
»Und genau dieses ›eigentlich‹ gefällt mir nicht.«
»Was willst du tun?«
»Nicht länger warten. Ich kann mir vorstellen, wohin die beiden gegangen sind. Zu Janine, und dort werden wir jetzt hinfahren.«
»Wie du meinst.«
Mama Rosa stieg aus. Wenig später saß sie hinter dem Steuer. Sandrine hatte ihren Platz auf dem Rücksitz beibehalten. Auch sie musste zugeben, dass die beiden Leibwächter verdammt lange weggeblieben waren. Da konnte man schon nervös werden.
Mama Rosa startete den schweren Mercedes. Sie kannte den Bois de Boulogne. Sie verfuhr sich nicht, und sie musste auch nicht auf den breiten Wegen bleiben. Die Reifen wühlten sich
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