1474 - Der Schnitter
die Tretboote war unser Ziel. Dort hielten wir aber nicht, das wäre zu auffällig gewesen. Voltaire fuhr bis an die hintere Seite eines Holzhauses, in dem tagsüber der Besitzer der Boote saß und sie verlieh. An ihn musste die Gebühr entrichtet werden, erst dann wurden die Boote übergeben.
Wir hofften, dass man sie nicht untereinander festgebunden hatte.
Dann nämlich sah es übel aus. Zunächst blieben wir im Wagen sitzen, schauten uns noch um und erkannten, dass die Luft rein war.
Verdächtigen Bewegungen waren uns nicht aufgefallen.
Schnell verließen wir den Wagen und drückten die Türen so leise wie möglich zu.
In der Umgebung war es still. Es fehlten die mehr oder weniger leisen Stimmen der nächtlichen Besucher, die wir am Kiosk gehört hatten. Hier war der Park in die nächtliche Stille eingetaucht und auch vom Wasser her hörten wir keine Geräusche. Es gab nicht eine Welle, die an das Ufer gerollt wäre.
Die kleine Insel sahen wir noch nicht, weil das Bootshaus uns die Sicht nahm. Das änderte sich, als wir die Vorderseite erreichten und über das Wasser schauen konnten.
Wir standen jetzt im Schatten des Hauses. Das Wasser kam uns wie ein dunkler Teppich vor, und daraus hervor wuchs die Insel.
Zuerst sahen wir nichts. Bis Dagmar Hansen flüsterte: »Auf der Insel gibt es ein Licht.«
Wir konzentrierten uns, und es dauerte nicht lange, da sahen wir es auch. Es blitzte mal auf, verschwand wieder und kehrte abermals zurück.
Es sah nicht so aus, als hätte jemand eine Taschenlampe ein- und ausgeschaltet. Das Licht schien stets für einen Augenblick verdeckt zu sein, bevor es wieder frei lag.
»Ist das normal?« fragte Harry.
Voltaire hob die Schultern. »Nein, das ist es wohl nicht. Mir ist jedenfalls nicht bekannt, dass es eine Lichtquelle auf der Insel gibt.«
»Dann ist die Insel besetzt.«
»Und der Schnitter kann sich freuen«, sagte Dagmar.
Damit hatte sie das Thema angeschnitten, das uns alle beschäftigte. Doch so sehr wir uns auch bemühten, den Schnitter bekamen wir nicht zu Gesicht. Wir sahen überhaupt keine Gestalt, die sich auf der Insel oder im Wasser bewegt hätte. Wir waren die einzigen Menschen in der Nähe.
»Wenn die Insel besetzt ist, sind die Leute mit einem Boot rübergefahren«, bemerkte Jean Voltaire. Er schaute uns dabei der Reihe nach an und sagte: »Ich denke, das sollten wir auch tun.«
Dagegen hatte niemand etwas. Genau deshalb waren wir hier, und der Kollege aus Paris machte sich bereits auf den Weg, um sich nach einem Boot umzusehen.
Sie lagen zwar alle in Reih und Glied, aber es gab in ihrer Umgebung leider keine Deckung, und das war für uns der große Nachteil.
Zudem gab es noch ein Problem, über das wir schon im Wagen gesprochen hatten.
Es musste nicht unbedingt sein, dass wir Mama Rosa und Sandrine Perrot auf der Insel fanden. Sie konnten sich durchaus woanders aufhalten. Außerdem hatten wir den großen Mercedes nicht gesehen, und das gab uns zu denken.
»Wenn wir zu viert fahren, lassen wir das Hinterland, also dieses hier, außer Kontrolle.«
»Das ist richtig«, sagte Harry.
»Und du hast auch an die Konsequenz gedacht?«
»Habe ich. Wir teilen uns.«
»Perfekt. Ich würde vorschlagen, dass du mit Dagmar hier am Ufer bleibst. Ich fahre mit Voltaire raus zur Insel.«
Dagmar und Harry schauten sich an. Bis beide zugleich nickten und zeigten, dass sie mit dieser Regelung einverstanden waren.
Auch sie behielten weiterhin Sandrine und Mama Rosa im Hinterkopf.
Voltaire kehrte zurück. Er grinste wieder schief. »Wir können ein Boot nehmen. Ich habe es loslösen können. Es liegt außen rechts. Damit ist wohl der Besitzer gefahren.«
»Ein Tretboot?« fragte ich.
»Nein, wir müssen schon rudern.«
Ich nickte. Danach erklärte ich Voltaire, was wir beschlossen hatten. Die Sonne ging zwar nicht auf seinem Gesicht auf, aber wie sehr er einverstanden war, das sahen wir ihm schon an. Er freute sich und rieb seine Hände.
»Dann halten wir die Augen auf«, sagte Harry und runzelte zugleich die Stirn. »Nur denkt daran, wer euch auf dieser Insel erwarten kann. Drogenbosse sind keine Chorknaben.«
»Das ist klar«, stimmte Jean Voltaire zu. »Wir müssen zudem mit Leibwächtern rechnen, aber wir werden nicht inkognito kommen, sondern sagen, wer wir sind. Beweisen können wir den Leuten nichts, das wissen sie auch. Und deshalb werden sie sich hüten, zu schießen. Vielleicht sind sie uns sogar dankbar.«
Das war zwar weit hergeholt, aber wenn
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