1474 - Der Schnitter
erzählen…«
***
Es war kein Traum gewesen, sondern Wirklichkeit. Nur kam es Sandrine wie ein Traum vor, denn so etwas hatte sie noch nie erlebt, da sie aus einer ganz anderen Welt kam. Nicht mal im Film hatte sie Derartiges gesehen.
Wenn man sie nach ihrem Zustand gefragt hätte, dann wäre ihr nur ein Begriff eingefallen. Sie kam sich wie verzaubert vor. Die Wirklichkeit gab es nicht mehr. Sie war weit, sehr weit in den Hintergrund gerückt und dort sogar verschwunden.
Sandrine befand sich in einer Umgebung, die für sie der reine Luxus war. Und als so etwas musste sie auch das Bad ansehen, in dem sie sich fast eine Stunde aufgehalten hatte, und das in einer Wanne, die so groß wie ein kleiner Pool war.
Dort hatte sie gebadet oder war gebadet worden, denn sie war von dienstbaren Geistern umgeben. Mädchen der unterschiedlichsten Nationalitäten hatten sich um sie gekümmert. Sie waren zu ihr ins Wasser gestiegen, hatten sie gewaschen und sie dabei erotisiert, und später, als sie mit den flauschigen Tüchern abgetrocknet worden war, hatte man sie auf eine weiche Liege gelegt und ihren Körper eingerieben. Kostbare Öle und Essenzen hatten ihrer Haut sehr gut getan, und Sandrine hatte sich so wohl wie noch nie in ihrem Leben gefühlt. Sie war von einer großen Zufriedenheit erfüllt, die in einen Zustand der Müdigkeit übergegangen war, sodass sie kaum bemerkt hatte, wie die fremden Hände sie anzogen.
Man streifte ihr eine ganz andere Kleidung über, und als sie dann an sich hinabschaute, sah sie die dunkelrote Samthose, die sich an ihre Haut schmiegte. Als Oberteil trug sie eine weit geschnittene Bluse aus feinster Seide, die sich so herrlich kühl anfühlte und ihr schmeichelte. Etwas derartig Kostbares zu tragen war sie nicht gewohnt.
Man führte sie anschließend zu einer Liege, auf der sie sich ausruhen und entspannen konnte.
Zu essen und zu trinken bekam sie ebenfalls etwas. Man schob einen Wagen heran, auf dem Obstsäfte in Glaskaraffen standen. Pralinen als Fingerfood, auch geschnittenes Obst. Erdbeeren, Ananas, Himbeeren und Pfirsiche.
Sandrine hatte in der letzten Zeit nicht gesprochen. Das tat sie auch jetzt nicht. Die dienstbaren Geister verschwanden ebenso schnell und lautlos, wie sie gekommen waren.
Auch jetzt sprach Sandrine nicht. Nur in ihren Gedanken formulierte sich eine Frage.
Ist das ein Traum?
Es war keiner. Sie hätte sich in den Arm kneifen können, um das herauszufinden, aber sie brauchte es nicht zu tun. Es blieb alles so, wie es war, eben eine neue Realität, von der sie hoffte, dass sie eine Weile anhalten würde.
Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass man sie in einen anderen Raum geführt hatte. Als sie sich umschaute, freute sie sich über das weiche Licht, das über eine Polsterlandschaft floss und an manchen Stellen einen fast goldigen Glanz hinterließ.
Dicke Teppiche dämpften die Schritte der Menschen. Sanfte Musik drang aus unsichtbaren Lautsprechern. Die Melodien klangen fremdländisch, aber sie gefielen Sandrine, denn sie hatten eine beruhigende Wirkung.
Das Bad und die anschließenden Massage hatten sie müde gemacht. Es war eine durchaus angenehme Müdigkeit, der sich Sandrine hingab. Mehr als einmal fühlte sie einen wohligen Schauer über ihren Körper rinnen, aber sie kämpfte dagegen an, die Augen zu schließen. Sandrine wollte wach bleiben, denn dies war nicht alles, was sie erlebt hatte, dessen war sie sich bewusst. Da musste noch was nachkommen.
Und sie sollte recht behalten.
Zuerst bemerkte sie den kühlen Luftzug, der über ihre Haut glitt.
Er ließ sie leicht frösteln, doch sie merkte auch, dass er bald vorbei war, weil eine Tür wieder geschlossen wurde. Nur war sie jetzt nicht mehr allein.
Durch die weichen Lichtbahnen bewegte sich eine Gestalt, bei deren Anblick ihr unwohl wurde. Durch den dicken Teppich war nichts zu hören. Dann sah sie die Bewegung schräg vor sich, und zugleich tauchte die Frau auf, die sie kannte.
Mama Rosa kam.
Die Ersatzmutter. Die Person, die sie aus der Provinz geholt hatte.
Sandrine sagte nichts. Nur ihr Herz klopfte schneller, denn jetzt wusste sie, dass es noch nicht zu Ende war. Sie wusste, dass sie in der Fremde keine Furcht zu haben brauchte, denn Mama Rosa, die dunkelhäutige Frau aus dem Senegal, war für sie so etwas wie ein Schutzengel.
Mama Rosa näherte sich ihr. Sie war eine wuchtige Gestalt, und sie hatte sich jetzt umgezogen. Sie trug ein langes schwarzes Gewand aus einem schweren Stoff. Er war mit
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