1484 - Der Tod eines Nakken
gehörte.
Jepht räusperte sich, um sicher zu sein, daß ihm nicht im unpassendsten Augenblick die Stimme versagen würde. Dann hob er die Arme und schickte sich an, eine wohlgesetzte Begrüßungsrede vom Stapel zu lassen.
Da sah er plötzlich das Ding, das am Ende der Treppe lag.
Zuerst dachte er, es sei irgend etwas, das die Kinder zurückgelassen hatten - ein Bündel Lumpen oder dergleichen. Aber dann gesellte sich ein zweiter Eindruck hinzu, und der hatte nichts mit Lumpen zu tun, sondern mit dem Tod. „Halt!" schrie Jepht, außer sich vor Entsetzen.
Die anderen schickten sich gerade an, das Gebäude zu betreten. Sie blieben erschrocken stehen. Der Neuling, schwitzend und keuchend unter seinem zeltartigen Überwurf, murmelte etwas von „... keine Luft" und „... am Ersticken", aber Jepht beachtete ihn überhaupt nicht. „Keinen Schritt weiter!" donnerte er seinen Besuchern entgegen. „Diesen Neuling ... bringt ihn weg!"
Es war offensichtlich, daß auch die neun Eingeweihten noch nicht begriffen hatten, worum es ging. Das war auch ganz verständlich, denn sie standen noch an der Türöffnung. Sie waren geblendet vom grellen Sonnenlicht und konnten nicht erkenrien, was in der relativen Dunkelheit der Halle lag. „Gellm und Warth!" sagte Jepht in einem etwas ruhigeren Tonfall, indem er sich gewaltsam zusammenriß. „Ihr seid mir für den Neuen verantwortlich. Bringt ihn nach nebenan und bleibt bei ihm.
Die anderen bleiben hier."
Gellm und Warth waren über diesen Auftrag nicht eben begeistert, aber sie gehorchten. Sie waren selbst noch nicht lange dabei und kannten erst einen Teil der geheimen Zeremonien. Sie wußten aber andererseits sehr wohl darüber Bescheid, daß Jepht auf jedes Anzeichen von Ungehorsam allergisch reagierte und den heiligen Besen sehr geschickt zu handhaben wußte. So zogen sie es klugerweise vor, auf Fragen und Proteste zu verzichten. Sie packten den Neuling bei den Schultern und führten ihn davon.
Jepht wartete, bis sie außer Hörweite waren. „Kommt her!" sagte er zu den anderen.
Sie näherten sich verwirrt und verunsichert, aber als sie im Innern der Halle waren und ihre Augen sich an das Dämmerlicht gewöhnt hatten, sahen sie es ebenfalls und blieben erschrocken stehen. „Was ist das?" fragte einer von ihnen zögernd. „Erkennst du es nicht?" fragte Jepht.
Niemand antwortete ihm. Sie standen stumm da und starrten es an, dieses ... Ding. „Es ist ein Nakk", sagte Jepht schließlich. „Und dieser Nakk ist tot."
*
Natürlich besaß keiner von ihnen irgendwelche exomedizinischen Kenntnisse, und so hätten sie unter normalen Umständen keine Chance gehabt, auch nur die einfachste und allgemeinste Aussage über den Gesundheitszustand irgendeines Nakken zu machen. Aber derartige Fähigkeiten waren in diesem Fall auch gar nicht erforderlich. Es reichte nämlich voll und ganz, sich auf seine Nase zu verlassen.
Niemand konnte sagen, wann und warum der Nakk gestorben war, aber nach dem Geruch zu urteilen, mußte es ihn schon vor geraumer Zeit erwischt haben. Allzu lange konnte es indessen auch wieder nicht her sein, denn in der ungeheuren Hitze schritt der Verwesungsvorgang sehr schnell voran, und schon nach zwei Tagen hätte niemand mehr auf Anhieb einen Nakk in dieser Gestalt erkannt.
Er sah ohnehin seltsam genug aus.
Aber sie hatten jetzt weder Zeit noch Lust, irgendwelche Studien zu tfetreiben.
Es gab keine Behörde, der sie den Fund dieses merkwürdigen Leichnams hätten melden können, keine Polizei, die solchen Fällen nachging, und schon gar keine Gerichte, vor denen sich der Schuldige hätte verantworten müssen - falls es einen Schuldigen gab. Aber selbst wenn diese Einrichtungen noch in Lokvorth-Therm existiert hätten, wären die GP-Freunde wohl kaum bereit gewesen, sich ihrer zu bedienen.
Dieser tote Nakk paßte ihnen absolut nicht ins Konzept, und wenn sie irgendeine Möglichkeit gehabt hätten, dieses verflixte Ding irgendwie hinwegzuzaubern, dann hätten sie sie auf der Stelle wahrgenommen.
Geister sterben nicht und hinterlassen auch keine Leiche. Das war der eine Punkt. Der andere: Dieser Nakk hatte sich in den Augen der GP-Freunde den denkbar ungünstigsten Platz zum Sterben ausgesucht. „Das waren die anderen", sagte Masquam denn auch prompt - er war der letzte Überlebende jener Dreiergruppe, die den Kult einst gegründet hatte. „Welche anderen?" fragte jemand verwundert. „Unsere Gegner!" erwiderte Masquam heftig. „Sie haben ihn
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