1494 - Hexenhölle
erstarrte. Er blieb stehen und drehte sich nach rechts.
Ich war froh, dass meine Wächter ebenso reagierten, denn so hatte ich einen freien Blick.
Ich wollte nicht glauben, was ich sah. Es war auch unwahrscheinlich, denn wir bekamen Besuch.
Und zwar von Irma, dem Mädchen!
***
Plötzlich war alles anders. Zumindest bei mir. Ich hatte meine eigene Lage vergessen, jetzt ging es nur noch um das Erscheinen der Fünfzehnjährigen, die sich so offen diesem verdammten Hexenjäger zeigte. Ich hätte sie eigentlich warnen sollen, aber ihr Verhalten wies nicht darauf hin, dass sie Angst hatte. Sie ging sehr forsch direkt auf den Hexenjäger zu, der so überrascht war, dass er keinen Ton hervorbrachte und sie nur anstarrte.
Niemand tat ihr etwas. Sie schlenderte sehr zielstrebig heran. Mir fiel dabei auf, dass sie ihre Hände auf dem Rücken verborgen hielt.
Eine Waffe würde sie dort nicht tragen, das hätten die anderen gesehen.
Calderon sagte noch immer nichts. Erst als Irma vor ihm stehen blieb, reagierte er.
»Was willst du?« fuhr er sie an.
»Möchtest du zusehen, wie der Mann verbrennt? Oder sollen wir dich auch auf den Scheiterhaufen stellen?«
»Nein.«
»Was willst du dann?«
»Ich soll dir Grüße bestellen, Father Calderon.«
»Ach, von wem?«
»Von Cosima.«
Das war der nächste Volltreffer. Ich konnte mir vorstellen, dass sich Calderon hinters Licht geführt fühlte. Er sah aus, als stünde er dicht vor einer Explosion. In mir allerdings stieg der Gedanke auf, dass dieses Erscheinen einen triftigen Grund hatte.
»Soll ich dich foltern lassen?« brüllte Calderon das Mädchen an.
»Was hast du mit Cosima zu tun? Wo steckt sie? Wir werden es aus dir herausprügeln und…«
Irma war stark, und sie ließ sich nicht beirren. »Ich soll dir nicht nur Grüße bestellen, Father Calderon. Ich soll dir auch etwas geben.«
»Geben?«
»Ja.«
»Was ist es?«
»Ein Geschenk.«
Er fing an zu lachen. »Wer will mir etwas schenken?«
»Cosima.«
Erneut bekam er so etwas wie einen Anfall. Die Nennung des Namens versetzte ihn in Wut. Doch er schaffte es, sich noch mal zusammenzureißen, und mit einer fast normal klingenden Stimme fragte er: »Was ist es denn für ein Geschenk?«
Irma zögerte noch. Sie schaute ihrem Gegenüber in die Augen.
Ich konnte dieses junge Mädchen nur bewundern. Es gab gewiss nur wenige Erwachsene, die diesem Teufel so gegenübergetreten wären. Aber sie hatte es gewagt, und sie starrten sich beide an.
Die junge Botin nickte. Jeder sah das kurze Zucken ihrer Schultern, das so etwas wie ein Anfang war. Dann nahm sie die Hände hinter ihrem Rücken hervor. Sie hielt das Geschenk in der Rechten, die sie Calderon entgegenstreckte.
»Das ist es, du verdammter Teufel!« schrie sie.
Und ich starrte auf mein Kreuz!
***
Mir schoss durch den Kopf, dass die nächsten Sekunden alles entscheiden würden. Wenn ich jetzt nicht reagierte, war ich verloren, und an meinen angeschlagenen Zustand wollte ich gar nicht erst denken.
Zuerst aber handelte Calderon.
Jeder hörte seinen Schrei und sah auch die Bewegung, mit der er die Arme in die Höhe riss. Er duckte sich, drehte sich weg, und ich riss mich im selben Moment mit einer gewaltigen Kraftanstrengung los, wobei ich zugeben musste, dass die Griffe meiner Wächter nicht mehr so fest waren, denn auch sie hatten sich ablenken lassen.
Ich wusste genau, was ich zu tun hatte. Irma stand nicht weit weg.
Sie schaute jetzt mich an und sagte das, auf das ich gewartet hatte.
»Ich soll es dir wieder zurückgeben. Irgendwann kommt es zwischen euch wieder zu einem Treffen. Dann musst du kommen und Calderon töten, weil wir es nicht schaffen, denn das Schicksal hat alles so gefügt oder der Himmel…«
»Ja, der Himmel«, sagte ich und nahm Irma das Kreuz aus der Hand. Was mit ihr passierte, sah ich nicht so deutlich. Ich glaubte aber, sie weglaufen zu sehen, und kein Verfolger rannte hinter ihr her, denn die Söldner blieben, weil sie ihrem Anführer zuschauten, der einen irren Wutanfall erlitt.
Jetzt oder nie!
Eine andere Devise gab es für mich nicht. Ich wusste, dass ihm das Kreuz gefährlich werden konnte, und somit hatte ich den Beweis, dass er zur anderen Seite gehörte.
Er wusste, dass seine Zeit gekommen war. Da konnten ihm auch seine Söldner nicht mehr helfen, die erstarrt oder auch von Angst erfüllt waren, denn so hatten sie ihren Father noch nie erlebt.
Calderon wankte zurück. Dass er sich dabei dem Scheiterhaufen näherte, war
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