1499 - Rattenwelt
verletzt?«
»Ich habe mir beim Sturz vom Dach nichts getan. Los, geh wieder rein!«
Ich wusste, dass es ihr nicht passte. Jane Collins gehörte zu den Menschen, die da sein wollen, wo die Action abläuft, aber in diesem Fall war sie fehl am Platze. Wenn die Ratten über sie herfielen, hatte sie kaum Möglichkeiten, sich effektiv zu wehren.
Mich konnten sie nicht angreifen und aus dem Weg räumen. Es musste schon etwas geschehen, und mir ging der Begriff King nicht aus dem Kopf.
Nicht Clara Seymour war die Anführerin, sondern er. Und wo er steckte und wie er aussah, wusste ich nicht.
Auch Clara Seymour war verunsichert. Sie schaute in alle Richtungen. Sie versuchte, so viel wie möglich im Blick zu behalten, und deshalb musste sie ständig den Kopf bewegen. Aber ihr größter Wunsch erfüllte sich nicht.
Keine einzige Ratte griff mich an!
Ich wunderte mich nicht lange darüber, denn ich dachte an mein Kreuz, das mich schützte.
Warum?
Diese Frage konnte ich nicht beantworten. Ich sah das Kreuz nicht als Allheilmittel an. Das war es auf keinen Fall. Aber warum hielt es die Ratten auf Distanz?
Es war nicht mein erster Kampf gegen die Nager. Ich hatte schon den Rattenkönig Rocky Koch und die Rattenkönigin Karni-Mata erlebt, auch den Rattenmensch Janos Torday, eine Mischung zwischen Ratte und Mensch. Aber da hatten die Ratten nicht so reagiert wie hier. Sie waren sehr aggressiv gewesen, sie hatten mich angegriffen, ich hatte mich gegen sie wehren müssen, aber hier, hier passierte das nicht. Obwohl sie in der Überzahl waren und sie mich bestimmt nicht als Freund ansahen, taten sie nichts dergleichen. Sie hockten auf ihren Plätzen und lauerten, als würden sie auf ein bestimmtes Zeichen warten.
Es lag am Kreuz!
Das hatte ich schon bei Clara gesehen. Auch ihr war es mehr als suspekt gewesen, und dabei sah sie nicht so aus, als musste sie sich vor meinem Talisman fürchten.
Etwas stimmte nicht. Noch war die Mauer zu hoch, als dass ich sie überschauen konnte.
Wenn ich mein Kreuz anfasste, war eine leichte Wärme zu spüren, und das lag nicht an meiner Haut. Von den Ratten musste die Botschaft ausgehen, und deshalb war ich fest davon überzeugt, dass diese Tiere magisch verseucht waren.
Durch was? Durch wen?
Ich hatte die Erklärung der Frau gehört. Sie hatte von einem King gesprochen, von einem König, der über ihr stand. Es war klar, wenn ich ihn fand, hatte ich die Lösung.
Seit unserem Aufprall war nur kurze Zeit vergangen. All die Gedanken und Vermutungen waren schnell durch meinen Kopf geschossen, aber sie brachten mich nicht weiter. Nur Clara Seymour konnte mir sagen, wo ich diesen King fand, und so sprach ich sie an.
»He, was ist los, Clara? Was ist mit deinen Freunden? Ich sehe sie, aber warum greifen sie mich nicht an? Sie halten sich zurück und lauern noch. Warten sie auf einen Befehl?«
Clara zischte etwas durch die Zähne, das sich wie ein Fluch anhörte. Eine Antwort erhielt ich nicht. Es konnte sein, dass sie die Vorfälle noch nicht verarbeitet hatte.
Mit der nächsten Frage überraschte ich sie. »Wo steckt der King? Wo hält sich dein großer Helfer auf? Kannst du mir das sagen? Oder willst du es nicht?«
Clara wischte den Schnee von ihrem Kleid. Sie musste einfach frieren, aber sie riss sich zusammen und zeigte keine Schwäche. Ihr Blick war bösartig geworden. Sie schob die Unterlippe vor und gab sogar ein leises Knurren von sich, schüttelte dann den Kopf und machte mir so klar, dass sie nichts sagen wollte.
Zwingen konnte ich sie nicht. Ich musste sie durch Taten überzeugen und suchte mir den Rattenpulk aus, der mir am nächsten war.
Da hatte sich ein halbes Dutzend der Nager versammelt. Immer wieder schüttelten sie den frisch gefallenen Schnee aus ihrem Fell.
Ich musste vom Haus weg, aber der Pulk befand sich nicht weit entfernt. Ich hatte nach wenigen Sekunden schon die Hälfte der Strecke zurückgelegt und die Ratten hätten jetzt wissen müssen, was ich vorhatte. Aber sie reagierten nicht. Sie lösten den Pulk nicht auf.
Sie blieben dort hocken, als hätte sich nichts verändert.
Das Kreuz hing wieder offen vor meiner Brust. Die Ratten waren nicht blind. Sie mussten es einfach sehen und daraus ihre Konsequenzen ziehen.
Das taten sie auch.
Es gab für mich praktisch keine Vorwarnung. Plötzlich zuckten ihre Körper, schlugen sie mit den langen Schwänzen um sich, und dann löste sich der Pulk von einer Sekunde zur anderen auf. Sie spritzten in eine bestimmte
Weitere Kostenlose Bücher