1499 - Rattenwelt
war. Der große Kopf bewegte sich zuckend von einer Seite zur anderen, und es wunderte mich, dass er nicht abfiel.
Auch die Ratten in seiner unmittelbaren Nähe gerieten in eine wilde Unruhe. Sie wussten nicht mehr, was sie tun sollten. Sie sprangen sich gegenseitig an, schrien fast wie kleine Kinder, aber davon ließ ich mich nicht ablenken. Ich wollte zum Rattenmonster und es zur Hölle schicken.
Es sah mein Kreuz und sah auch, wie ich die Kette über meine nassen Haare streifte. Eine Kreatur der Finsternis konnte nicht mit einer normalen Waffe besiegt werden, aber das Kreuz war ihr Schicksal.
Es stand dafür, dass das Böse zum zweiten Mal in der Welt besiegt worden war nach der großen Schlacht am Beginn der Zeiten.
Auch das Monster stieß einen Laut aus, als ich mit meinem Kreuz immer näher auf es zukam. Ich spürte die Wärme, aber es gab auch noch etwas anderes. Ohne dass ich die Formel gesprochen und es aktiviert hätte, wanderte plötzlich gleißendes und zuckendes Licht über die Seiten hinweg. Eine gewaltige Energie hatte sich darin gesammelt.
Bei der Kreatur der Finsternis tat sich etwas innerhalb oder vielleicht auch auf der Außenseite des Kopfes. Die Haut dort zog sich zusammen, als hätte man die Luft aus einem Ballon gelassen.
Das ging mir alles zu langsam. Ich wollte dieses verdammte Monster vernichten. Auch wenn ich nicht von meiner Aktion begeistert war, zog ich sie durch.
Aus dem Stand heraus sprang ich die Kreatur an.
Ich hatte mir das Gesicht in diesem übergroßen Schädel ausgesucht und verfehlte es nicht.
Kreuz und Kopf – das ging nicht gut!
In der nächsten Sekunde tobte um mich herum eine Hölle. Schreie gellten in meinen Ohren, die nicht nur von der Kreatur der Finsternis stammten, es waren auch die Ratten, die so grässlich schrien, denn ihre Existenz verdankten sie einzig und allein diesem Monster.
Es jaulte schlimm auf. Es warf sich zurück.
Ich war froh, dass es jetzt eine Distanz zwischen uns gab, und wurde Zeuge der Vernichtung aller hier anwesenden Ratten.
Dem Monster war es gelungen, sich in die Höhle zurückzuziehen, als wollte es nur dort sterben, wo es sich all die Jahrhunderte über aufgehalten hatte.
Dort verging es auch.
Der Kopf brach auseinander. Es begann mit Rissen, die sich zittrig von oben nach unten zogen und von innen her Druck bekamen, sodass sich die Risse vergrößerten.
So schufen sie Platz für eine gelbe, wie Eiter aussehende Flüssigkeit, die aus diesen Spalten quoll und über das noch bestehende Gesicht rann.
Der Kopf schwankte von einer Seite zur anderen. Er fiel noch immer nicht ab, aber er verlor an Größe. Die Flüssigkeit bedeckte bald alles. Sie konnte in seinem Innern so etwas wie ein Kraftspender gewesen sein, den es jetzt nicht mehr gab.
Der King verabschiedete sich für immer. Er konnte Tausende von Jahren existiert haben, aber jetzt war es vorbei. Mich wunderte nur, dass er beim Sterben nicht sein zweites menschliches Gesicht zeigte.
Umgekehrt hatte ich es schon erlebt, da hatten sich die beiden Gesichter im Todeskampf übereinander geschoben.
Dann kippte er doch.
Und er fiel in seine Ratten hinein, die sich auf ihn stürzten, aber nicht, um ihm zu helfen. Sie suhlten sich in den Resten, und sie vergingen dabei selbst.
Es war ein Massensterben inmitten dieser gelblichen Masse, die im Kopf gesteckt hatte. Den Anführer gab es nicht mehr. Die Tiere waren zu stark an ihn gebunden, um ohne seinen Schutz bestehen zu können. Ich musste mein Kreuz nicht einsetzen, die Tiere vergingen vor meinen Augen.
»Nein – nein…«
Die schrecklichen Schreie stieß Clara Seymour aus. Ihre Hoffnungen waren zerstört worden. Sie kniete im Schnee und hatte die Arme zum Himmel gestreckt wie jemand, der betet.
Aus ihrem Mund drangen wirre Laute, während ich zusah, wie auch die letzte Ratte verging.
Zurück blieb eine große, schmierige gelbe Lache. Menschen wurden zu Staub, Dämonen nicht. Aber ob Staub oder eine stinkende Masse, mir war es letztendlich egal…
***
Clara Seymour wollte nicht aufstehen. Ich musste sie vom Boden und aus dem Schnee hochziehen. Dann schleifte ich sie den Weg zurück. Sie war nur noch ein jammerndes Bündel, aus dessen Mund wirre Wortfetzen drangen.
Ich dachte daran, sie in eine Klinik zu bringen, in der sie untersucht werden konnte. Sie hatte überlebt. Aber wohin ihr Weg sie führen würde, wusste ich nicht.
Ich dachte an den alten Miller und den junge Tankwart, die Opfer der Ratten geworden waren. Ich
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