15 - Im Schatten des Grossherrn 04 - In den Schluchten des Balkan
nicht von mir verlangen!“
„Die große Gefahr, von welcher du sprichst, würde nur verschlimmert werden, wenn wir uns an dem Fuhrmann vergreifen. Übrigens ist es jetzt nicht Zeit zu unnützer Plauderei. Wir dürfen den Wirt nicht merken lassen, was wir wissen. Bleiben wir hier im Stall, so kann er leicht mißtrauisch werden. Und da ich hier mit der Dienerin zusammentreffen will, so muß ich wenigstens für kurze Zeit zu ihm gehen. Vorher aber laß uns einmal hier nach den Brettern sehen.“
Der Moder hatte mir vorgearbeitet. Es bedurfte gar keiner Anstrengung, um einige Bretter locker zu machen; dann ging ich hinein in die Stube.
Der Fuhrmann stand da mit seiner Frau, die sich aber bei meinem Eintritt sofort entfernte. Beide hatten sich vermutlich von etwas sehr Ernstem unterhalten; das konnte ich aus ihren Mienen schließen.
„Hat Allah dir Sorgen gesandt?“ fragte ich ihn. „Sie stehen in deinem Gesicht geschrieben.“
„Ja, Herr, ich habe Sorgen“, sagte er. „Mein Knecht liegt im Blut, welches ihm aus Mund und Nase geflossen ist.“
„Führe mich zu ihm!“
„Bist du ein Arzt? Es war bereits ein solcher hier; der Kranke aber hat so große Schmerzen, daß ich auch noch den Alchimisten kommen ließ. Er ist soeben fort.“
„Welche Meinung hatte er von der Krankheit?“
„Er erkannte sie sofort; er ist viel klüger als der andere. Ihm sind alle Krankheiten und alle Heilungen und Arzneien offenbar. Er sagte, der Kranke habe ein Magengeschwür, welches vom Genuß saurer Orangen abstamme. Das Geschwür ist bis unter die Haut gedrungen. Daß der Knecht gestürzt ist oder sich gestoßen hat, dies hat nur dazu beigetragen, diese innere Krankheit ruchbar zu machen. Er will ihm etwas Magenstärkendes schicken und dann später bei der Operation den Blutschwären aus dem Magen schneiden.“
„Wird das gelingen?“
„O, er hat Messer, mit denen er den dicksten Knochen auseinander bringt, und der Magen ist ja viel weicher.“
„Ja, er scheint ein großer Arzt zu sein; aber laß mich trotzdem den Kranken einmal sehen!“
Er willigte ein. Der Patient lag stöhnend auf einer alten Decke; er hatte viel Blut verloren. Da er Beinkleid und Jacke auf dem bloßen Leib trug, so war sehr leicht zu der Verletzung zu gelangen. Er schrie laut auf, als ich sie berührte.
„Verstehst du dich auf Magengeschwüre?“ fragte der Wirt.
„Ja; aber ein solches ist hier gar nicht vorhanden.“
„Was denn? Woran leidet er?“
„Es ist eine sehr gefährliche Hufeisenkrankheit.“
Er blickte mich sehr dumm an.
„Hufeisenkrankheit?“ sagte er. „Von dieser Krankheit habe ich noch nichts gehört.“
„Schau her! Hier diese Geschwulst sieht genauso aus, als ob sie von einem ausschlagenden Pferd verursacht worden sei. Die blutrünstige Stelle zeigt ganz die Form eines Pferdehufs. Diese Krankheit hat das Eigentümliche, daß sie die Rippen zerbricht, und sie überfällt nur solche Leute, welche nicht gelernt haben, mit einer Stecknadel vorsichtig umzugehen.“
Er wußte nicht so recht, wie er meine Erklärung nehmen solle. Er half sich mit der Frage:
„Du meinst, daß Rippen zerbrochen sind?“
„Ja. Auch die Lunge ist verletzt, wie dieses Blut hier beweist. Dein Alchimist ist ein Dummkopf; der erste Arzt war klüger. Wenn du nicht den besten Doktor rufst, den es in Menlik gibt, so wird dieser Mann sterben müssen. Kommt er aber mit dem Leben davon, so mag er sich in Zukunft mehr vor fremden Pferden in acht nehmen.“
„Er hat ja kein fremdes Pferd angerührt!“
„So hat dieses aber ihn berührt, und zwar so, daß er sich meinen guten Rat wohl merken wird.“
„Weißt du ein Mittel, ihn zu heilen?“
„Ja; aber zu dieser Heilung gehört eine lange Zeit. Hole den Arzt und lege ihm, bis dieser kommt, sehr nasse Tücher auf die Brust; das ist das beste Mittel.“
„Wir haben einen sehr klugen Militärarzt hier; aber er wird wegen des Jahrmarkts keine Zeit haben. Soll ich dem Kranken nicht einstweilen einen Rhabarbertrank eingeben und ihm ein Zugpflaster auflegen?“
„Trinke du selbst den Rhabarbertrank und quirle vorher das Zugpflaster hinein. Beides kann dir nichts schaden; für ihn aber ist es zu stark.“
„Du redest sehr bitter, Herr! Ich werde gleich selbst gehen, um den Militärarzt zu suchen.“
„Wann kommst du wieder?“
„Das weiß ich nicht genau. Ich muß vorerst zu einem Freund gehen, welcher mich nicht gleich wieder von dannen lassen wird. Wenn ich wiederkomme, werden wir zu
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