15 - Im Schatten des Grossherrn 04 - In den Schluchten des Balkan
kroch ich wieder in den Hof hinaus. Die Dienerin nahm mich bei der Hand und führte mich zur Leiter. Ohne ein Wort zu sagen, stieg sie mir voran, und ich folgte ihr. Oben angekommen, fühlte ich aufgeschichtetes Stroh. Sie zog mich einige Schritte weiter bis zu einer zweiten Leiter, welche aber weniger hoch war. Als wir diese erstiegen hatten, befanden wir uns auf – wie es daheim genannt würde – auf dem Hahnebalkenboden des Nebengebäudes. Dort nahm sie mich abermals bei der Hand und zog mich weiter, immer unter dem Dachfirst hin. Wir wateten im Heu. Ich war länger als sie und stieß verschiedene Male mit dem Kopf an die Sparren und Balken. Sie sagte zwar immer: „Hier war ein Balken!“ Aber sie sagte es stets erst dann, wenn ich die Bekanntschaft desselben bereits gemacht hatte.
Endlich – – – brr, ging es plötzlich so jäh abwärts, daß wir beide den Halt verloren und miteinander mehrere Ellen tief abwärts rutschten. Das hatte nichts zu sagen. Die Schlittenbahn bestand aus Heu.
Meine Führerin hatte einen Schreckensruf ausgestoßen. Wir lauschten, ob dies gehört worden sei. Als aber alles ruhig blieb, sagte sie leise zu mir:
„Hier grad vor uns ist der Taubenschlag und links die Stiege. Ich gehe aber nicht hinab, sondern kehre auf demselben Weg zurück, auf dem ich gekommen bin.“
„Werden die Männer schon da sein?“
„Nein, sonst würden wir sie hören.“
„Das ist gut, sonst hätten sie deinen Schrei vernommen.“
„Hier habe ich die Tür geöffnet. Ich gehe; nimm dich in acht, damit dir kein Leid geschieht!“
Ich hörte sie am Heu zurückklettern; dann war es still um mich her, still und schauerlich finster.
In einem amerikanischen Urwald, des Nachts, hätte ich mich gewiß nicht so beklemmt gefühlt, wie hier in diesem dunkeln, unbekannten und engen Raum. Rechts war Wand, links die Stiege. Ich befand mich auf einem nur wenige Quadratschuh großen Plätzchen. Hinter mir der Heuboden und vor mir eine dünne Holzwand mit einem offenen Türchen, genau so groß, daß ich mich mühsam hindurchzwängen konnte.
Diese Umgebung war außerordentlich feuergefährlich; aber es war notwendig, auch zu sehen, wo ich mich befand. Darum zog ich ein Wachshölzchen hervor und brannte es an. Ich blickte mich schnell außerhalb des Taubenschlages um und leuchtete sodann hinein. Ah, die Alte hatte sehr recht! Schmutz gab es da in Masse; aber das mußte ertragen werden. Glücklicherweise war das Staatskabinett doch so geräumig, daß ich gut Platz fand. Da, rechts, schien ein Stück des Bodens zu fehlen; doch hatte die linke Hälfte ein ganz sicheres Aussehen. Ich kroch also hinein und zog die Tür hinter mir zu. Ich hatte es mir aber noch nicht ganz bequem gemacht, so begann der hier herrschende Geruch seine Wirkung. Ich merkte, daß kein Mensch hier zwei Minuten bleiben kann, ohne eine ganze Sebastian Bachsche Fuge herunter zu niesen. Das war höchst gefährlich. Ich suchte mit der Hand umher und fand eine Schnur. Ich zog an derselben – und wirklich, da öffneten sich zwei Fluglöcher, und es drang wenigstens so viel Luft herein, als ich unbedingt zum Atmen bedurfte.
Dieser Luxus machte mich anspruchsvoller. Ich kroch wieder hinaus und holte mir ein Quantum Heu herein, um wenigstens für die Ellbogen eine weichere Unterlage zu haben. Nun hatte ich es so gemächlich, wie ich es hier überhaupt nur haben konnte.
Jetzt wäre es mir lieb gewesen, wenn die Erwarteten gekommen wären; aber meine Geduld wurde leider auf eine harte Probe gestellt. Ich merkte dabei, daß es ohne gewisse Vorkehrungen hier auf die Dauer doch nicht auszuhalten sei. Die frische Luft reichte nicht aus. Ich schob die Tür wieder auf. Der Duft des Heues war doch noch besser als das scharfe Aroma des Taubenguano, in welchem ich lag. Um das Niesen zu verhüten, nahm ich mein Taschentuch hervor und band es zusammengelegt über die Nase und hielt dann den Mund möglichst nahe an die beiden Fluglöcher.
Hier waren die Vögel des Ölzweiges aus und ein geschlüpft. Ein Blick hinaus belehrte mich, daß ich mich unter dem Giebeldach befand. Der Lärm und die Lichter des Jahrmarktes drangen zu mir herauf. Dabei kamen und gingen allerlei Gedanken. Meines kleinen Halef berühmter Emir Hadschi Kara Ben Nemsi Effendi im Taubenschlag! Ein Weltläufer in der Fremde hier im Taubenschlag? Ja, das war ja ganz wie in jenem berühmten Gedicht vom Schneider, der in die Fremde wandern soll, sich aber vor dieser so fürchtet, daß er
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