15 - Im Schatten des Grossherrn 04 - In den Schluchten des Balkan
ich. „Wir müssen vor allen Dingen hier nach dem Reiter sehen.“
„Ich wollte, er hätte das Genick gebrochen!“
„Das wollen wir nicht wünschen.“
„Warum nicht? Er ist ein Räuber und ein Pferdedieb.“
„Aber doch ein Mensch. Er rührt sich nicht. Die Besinnung ist von ihm gewichen.“
„Vielleicht ist nicht nur die Besinnung, sondern seine ganze Seele von ihm gewichen. Sie möge in die Dschehennah fahren und mit dem Teufel Brüderschaft trinken!“
Ich kniete neben Deselim nieder und untersuchte ihn.
„Nun? Siehst du, wo seine Seele steckt?“ fragte Halef.
„Sie ist nicht mehr bei ihm. Er hat wirklich das Genick gebrochen.“
„Er ist selbst Schuld daran und wird kein Pferd mehr stehlen, am allerwenigsten aber deinen Rappen. Allah lasse seine Seele in eine alte Mähre fahren, die täglich zehnmal geraubt wird, damit er erfahre, wie es ist, wenn ein Pferd einen Spitzbuben zu tragen hat!“
Dabei trat er näher und zeigte nach der Kopfbedeckung des Waffenschmiedes. „Nimm sie herab!“ sagte er.
„Was?“
„Die Koptscha.“
„Ah! Du hast recht. Daran hätte ich nicht gedacht.“
„Und doch ist dies so notwendig. Wer weiß, ob ich dich hätte retten können, wenn ich den Knopf nicht gehabt hätte.“
„Von wem hast du ihn?“
„Von dem Gefangenen des Schmiedes.“
„So warst du bei Schimin?“
„Ja. Doch das will ich dir nachher erzählen. Jetzt haben wir anderes zu tun. Da, sieh diese Leute!“
Die ganze Bewohnerschaft des Dorfes schien an den Bach gekommen zu sein. Männer, Frauen, Kinder standen in großer Zahl am Ufer und führten eine laute, schreiende Unterhaltung. Ein so seltenes Ereignis hatte natürlich ihr ganzes Interesse in Anspruch genommen.
Zwei von ihnen kamen herabgeklettert und sprangen über das Wasser. Der erste war Ali, der Sahaf.
„Herr, was ist geschehen?“ fragte er. „Warum habt ihr diesen Reiter verfolgt?“
„Hast du das nicht erraten?“
„Nein. Wie kann ich es wissen?“
„Hast du nicht gesehen, wessen Pferd er ritt?“
„Das deinige. Hattest du mit ihm eine Wette gemacht, oder wollte er es dir abkaufen und vorher die Schnelligkeit desselben probieren?“
„Keines von beidem. Er hat es mir gestohlen.“
„Und ihr seid ihm nachgejagt?“
„Ja, wie du gesehen hast.“
„Aber, Herr, ich weiß nicht, was ich denken soll! Du konntest doch nicht reiten!“
„Ich kann es auch jetzt nicht anders als vorher.“
„O doch! Du reitest wie der Stallmeister des Großherrn, und sogar noch besser. Kein Mensch hätte mit diesem Pferd den Sprung gewagt.“
„Nun, vielleicht habe ich es unterdessen gelernt.“
„Nein. Du hast mich getäuscht; du hast dir mit mir einen Scherz gemacht. Erst saßest du auf dem Pferd wie ein Schulknabe, und dann, als ich dich durch den Zaun dringen und über den Bach setzen sah, dachte ich, du müßtest den Hals brechen.“
„Das letztere überlasse ich anderen, zum Beispiel diesem Mann da.“
Dabei deutete ich auf den Ismilaner.
„Allah! Hat er ihn gebrochen?“
„Ja.“
„So ist er tot?“
„Natürlich.“
„So hat er den Diebstahl teuer bezahlt. Wer ist er?“
Er trat an den Toten heran, wandte dessen Gesicht zu sich, um es zu sehen, und rief erstaunt:
„Gott tut Wunder! Das ist ja der Waffenschmied Deselim aus Ismilan!“
„Kennst du ihn?“
„Ja. Er ist zugleich auch Kaffeewirt, und ich habe bei ihm manche Tasse geleert und manche Pfeife geraucht.“
„So war er ein Freund von dir?“
„Nein, sondern nur ein Bekannter.“
Da trat auch der andere herbei, welcher hinter ihm über das Wasser gesprungen war. Auch er hatte sich das Gesicht des Toten betrachtet. Jetzt fragte er mich:
„Du hast diesen Mann gejagt?“
„Ja.“
„Und er hat dabei das Leben verloren?“
„Leider!“
„So bist du der Mörder. Ich muß dich verhaften!“
„Das wirst du nicht tun!“ fiel schnell der Sahaf ein. „Dieser Mann gehört nicht unter deine Gerichtsbarkeit.“
Da nahm der andere eine würdevolle Miene an und sagte in ernstem Ton:
„Du bist Ali, der Sahaf, und hast zu schweigen; ich aber bin der Kiaja dieses Ortes und habe zu sprechen. – Also, wer bist du?“
Diese Frage war an mich gerichtet.
„Ein Fremder“, antwortete ich.
„Woher?“
„Aus Nemtsche memleketi.“
„Ist das weit von hier?“
„Sehr weit.“
„Stehst du auch unter einem Kiaja?“
„Ich stehe unter einem mächtigen König.“
„Das ist gleich. Ich bin der König von Kabatsch; ich bin also
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