15 - Im Schatten des Grossherrn 04 - In den Schluchten des Balkan
gefährlich werden konnte.
Ganz links da drüben ritt der Ismilaner. Er hatte sich umgesehen und Halef erblickt, mich aber nicht. Er erhob sich im Sattel und hielt den gestohlenen Stutzen hoch auf. Ich konnte mir das höhnische Lachen, welches er dabei wohl ausstieß, sehr gut denken. Sein Vorsprung vor Halef vergrößerte sich. Zum Glück aber raste mein fast toll gewordenes Pferd mit einer Geschwindigkeit, welcher diejenige meines Rappen jetzt übertraf, dem Dorfe zu.
Man hatte uns von dort aus gesehen. Die Leute standen vor den Türen. In der Nähe der ersten Häuser lag ein langer, hoher Steinhaufen; ich fand nicht Zeit, ihn zu umreiten, und setzte über ihn hinweg. Das Pferd ließ bei dem Sprung einen grunzenden Baßton hören. Es schien nichts zu sehen; es wäre mit dem Kopf an die erste beste Mauer gerannt. Ich hatte zwar nicht die Gewalt über es verloren; aber vollständig zu lenken vermochte ich es doch nicht; ich konnte mich nur darauf beschränken, Unglück zu verhüten.
Jetzt flog ich am ersten Haus vorüber. Da stand ein plumper, zweiräderiger Karren, mit Früchten – ich weiß nicht, mit welchen – beladen. Ausweichen, das ging nicht. Ein Druck, ein Sprung – wir waren darüber hinweg. Die Zuschauer schrieen laut auf.
Eine Biegung kam, der ich folgen mußte. Das Pferd mühsam um die Ecke bringend, gewahrte ich einen Mann, welcher eine Kuh führte. Er sah mich, stieß einen Angstruf aus, ließ die Kuh stehen und sprang fort. Das Tier drehte sich nach ihm um, sodaß es quer mir im Weg stand. Im nächsten Augenblick waren wir über die Kuh hinweg.
„Tschelebi, Effendi, Effendi!“ hörte ich rufen.
Ich blickte im Vorüberjagen den Mann, welcher mir dies zurief, an. Es war Ali, der Sahaf, welcher vor seinem Haus stand. Er hatte den Mund offen und schlug die Hände zusammen. Er hatte mich ja für einen schlechten Reiter erklärt und mochte glauben, das Pferd gehe mit mir durch.
So ging es weiter und weiter, zum Dorf hinaus. Da sah ich die Brücke; der Ismilaner war noch nicht da. Ich war ihm zuvorgekommen. Ich drehte mich um und sah ihn längs des Wassers daherkommen, Halef in ziemlicher Entfernung hinter ihm.
Es gelang mir, mein Pferd zum Stehen zu bringen, und ich nahm die Büchse vor. Mein Rappe war mir mehr wert als das Leben des Reiters. Gab er ihn nicht freiwillig auf, so war ihm die Kugel gewiß. Nur näher kommen mußte er.
Da aber erblickte auch er mich. Er stutzte. Er konnte es nicht begreifen, mich hier, vor sich, zu sehen. Dann nahm er sein Pferd rasch nach rechts. Mich und Halef vor und hinter sich, den Fluß zur Linken, blieb ihm nichts anderes übrig, als quer durch das Dorf zu fliehen. Ich drehte augenblicklich um, versetzte meinem Pferd einen zweiten Stich und jagte zurück. Ich sah ihn hinter einem Haus hervorkommen. Er hatte die Absicht, an dem gegenüberliegenden Haus vorbeizureiten. Vier oder fünf Sprünge meines Rih und Roß und Reiter wären verschwunden gewesen. Ich richtete mich also in den Bügeln auf, legte die Büchse an und zielte mitten im Galopp. Aber ich setzte das Gewehr schnell wieder ab. Ich sah nämlich, daß sich dem Flüchtling ein Hindernis entgegenstellte, welches er entweder vorher nicht gesehen oder doch unterschätzt hatte.
An dem Haus, an welchem er vorüber wollte, befand sich ein hoher Zaun, aus Weiden bestehend. Ich an seiner Stelle hätte mich durch dieses Hindernis nicht zurückhalten lassen; kam man nicht hinüber so kam man doch hindurch. Er aber hatte Angst und lenkte um, nach dem Dorfeingang zu, durch den ich gekommen war. Ich folgte ihm nicht. Es war meine Aufgabe, ihm den Weg nach der freien Ebene zu verlegen und ihn vielmehr nach dem Wasser zu treiben. Zwar war ich ihm jetzt nahe genug, um ihn mit der Kugel zu treffen; aber er war doch ein Mensch, und ich mußte wenigstens den Versuch machen, ohne Vergießung von Menschenblut wieder zu meinem Eigentum zu gelangen.
Infolgedessen trieb ich mein Pferd grad gegen denselben Zaun, welcher ihn abgeschreckt hatte. Für Rih wäre der Sprung nicht zu hoch gewesen; der Klepper aber konnte den Satz nicht erzwingen. Ich nahm ihn so hoch wie möglich und brach hindurch. Es gab auf dem eingefriedigten Platz eine offene Grube – darüber hinweg und auf der andern Seite durch den Zaun hinaus.
Mein Pferd raste jetzt, wie vom Bösen besessen, hinter dem Dorf hinab, und eben als ich mich parallel dem ersten Haus befand, kam auch der Ismilaner in Sicht.
Er sah den Weg verlegt und ritt nun in gerader
Weitere Kostenlose Bücher