15 - Im Schatten des Grossherrn 04 - In den Schluchten des Balkan
mein bester Sahaf! Mit deiner Kunst ist es nicht weit her!“ dachte ich.
Laut aber antwortete ich:
„Ja. Sieh hier einmal meine Uhr. Sie zeigt die Jahre, Monate, Tage, Stunden, Minuten und Sekunden an.“
Er nahm mir die Uhr aus der Hand und betrachtete ganz erstaunt die Zifferblätter.
„Herr“, sagte er, „geht sie richtig?“
„Ja, sehr richtig.“
„Aber ich kann sie nicht lesen.“
„Weil die Namen und Ziffern in einer dir unbekannten Schrift geschrieben sind. Aber hören kannst du sie.“
Ich ließ die Uhr repetieren. Er fuhr bei dem scharfen Klang des Schlages zurück.
„Allah akbar!“ rief er aus. „Diese Uhr hat entweder Allah gemacht oder der Teufel!“
„O nein! Der sie gemacht hat, war ein frommer Uhrmacher in Germany. Er hat die Uhr als Meisterstück gemacht und sie aber nie verkauft. Als er starb, erhielt sie sein Erbe, nach dessen Tod ich sie bekam.“
„Kann man sie öffnen?“
„Ja.“
„Öffne sie; öffne sie, damit ich sehe, wie sie beschaffen ist.“
„Jetzt nicht; aber in Dschnibaschlü sollst du sie betrachten dürfen. Dort haben wir Zeit, hier aber nicht.“
„So willst du sofort aufbrechen?“
„Ja. Vorher aber will ich mein Wort halten und deinem Vater einen Vers aufschreiben, welcher ihm in seinem Leben zum Trost gereicht.“
„Einen Vers aus eurer Bibel?“
„Ja.“
„So komm. Ich werde es ihm vorlesen, und er wird eine große Freude haben.“
Ich kehrte mit ihm in den vorderen Raum zurück. Dort sagte er zu dem Kranken:
„Mein Vater, besinnst du dich noch auf den alten römischen Katholik, welcher mir den schönen Vers aufschrieb?“
Der Gefragte bejahte mit den Augen.
„Dieser Effendi ist auch ein Christ und wird dir einen Vers aufschreiben. Ich lese ihn dir vor.“
Ich hatte ein Blatt aus dem Notizbuch gerissen, schrieb und gab es dann dem Sahaf. Dieser las:
„Jaschar-sam jaschar-im Allaha, ölar-sam ölar-im Allaha, jaschar-im jagod ölar-im olyr-im Allaha!“
Das heißt zu deutsch:
„Wenn ich lebe, so lebe ich dem Herrn; wenn ich sterbe, so sterbe ich dem Herrn; darum möge ich leben oder sterben, so gehöre ich dem Herrn.“
Die Augen des Alten wurden feucht. Er blickte auf seine Hand, welche er nicht zu bewegen vermochte.
„Effendi, er bittet dich, ihm deine Hand zu geben“, erklärte mir der Sohn.
Ich folgte dieser Aufforderung und trocknete dem Gelähmten die Tränen in den Augen.
„Allah ist gütig, weise und gerecht“, sagte ich. „Er hat deine Glieder gebunden, damit deine Seele desto fleißiger mit ihm verkehre. Wenn einst dein scheidender Geist an der Brücke zur Ewigkeit auf die beiden Engel trifft, welche die Taten der Verstorbenen prüfen, so wird in ihren Händen die Ergebung in dein Leiden schwerer sein, als alles, was du hier fehltest. Mögen die Herrlichkeiten des Himmels dir entgegenleuchten!“
Er schloß die Augen, und über sein faltiges Gesicht legte es sich wie ein Frieden nach glücklich zu Ende geführtem Seelenkampf. Er öffnete die Augen auch nicht, als wir die Stube verließen.
„Herr“, sagte draußen der Sahaf, „warum hast du den Vers nicht in der Sprache geschrieben, welche man jetzt spricht?“
„Der Koran wurde auch nicht im neuen Arabisch geschrieben. Ein Vers muß in ehrwürdigen Worten verfaßt werden. Aber warum sprichst du jetzt anders als vorher zu mir?“
„Ich?“ fragte er, einigermaßen verlegen.
Er hatte mich bei dieser zweiten Begegnung ‚Du‘ genannt, vorher aber ‚Sie‘. Nach einer Pause sagte er:
„Weil ich dich lieb habe. Zürnst du mir?“
„Nein. Hol‘ dein Pferd. Wir reiten nach Dschnibaschlü.“
Während er hinter das Haus ging und wir auf ihn warteten, hätte ich gern den kleinen Halef nach seinen Erlebnissen gefragt; aber es umgab uns ein Haufen von Menschen, welche sich in lauten Ausrufungen über das Geschehene ergingen und unsern Personen ein so zudringliches Interesse widmeten, daß von einer Unterhaltung zwischen uns beiden gar keine Rede sein konnte.
Dann kam der Sahaf auf seinem Pferd, und in scharfem Trab begannen wir die Rückkehr, da wir über das Befinden Omars und Oscos in Ungewißheit waren.
Während dieses Rittes nun wendete ich mich mit meinen Erkundigungen an den kleinen Hadschi:
„Ich habe so lange Zeit auf euch gewartet, und ihr kamt doch nicht. Hattet ihr euch vielleicht verirrt?“
„Nein, Effendi. Wir sind genau auf dem Weg geblieben, den du uns vorgeschrieben hattest; aber –“
Er stockte und blickte mich von der Seite
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