15 - Im Schatten des Grossherrn 04 - In den Schluchten des Balkan
sagen.“
„Von jetzt an wirst du Menschen fangen!“ An dieses Wort des Heilandes dachte ich, als ich jetzt zu erzählen begann. Der Schmied hatte recht: ich meinte es ehrlich mit ihm. Er war eine Nathanaelseele; an ihm war kein Falsch. Er gehörte zu jenen einfachen Menschen, welche bei geringen Gaben nach der Wahrheit trachten, während geistig reich Begnadete ihre Kräfte an unfruchtbaren Spitzfindigkeiten verschwenden.
Es war ein eigentümlicher Ritt. Ich erzählend und er still zuhörend. Nur zuweilen warf er eine kurze Frage ein oder sprach ein Wort der Verwunderung aus. Wir ritten im schärfsten Trab, und er hatte sehr zu tun, sich an meiner Seite zu halten. Dennoch achtete er mehr auf meine Worte als auf Pferd und Weg, und da kam es vor, daß er bei einem Stolpern oder bei einem unerwarteten Sprung seines Gauls den Bügel verlor und dabei ein Kraftwort ausrief, welches zu dem Inhalt meiner Erzählung keine ganz passende Interjektion bildete. Aber wir kamen körperlich schnell vorwärts, und geistig oder vielmehr geistlich machten wir auch Fortschritte, wie ich bemerkte.
Es waren Stunden vergangen. Wir hatten einen ziemlich bedeutenden Berg erklommen – ohne Weg und bei dieser Finsternis keine Leichtigkeit. Wir ritten drüben wieder hinab, durch lichten Wald und bei steilem Abfall. Darum ging es langsamer als bisher.
„Und glaubst du, daß er wirklich auferstanden ist und aufgefahren gen Himmel?“ fragte er.
„Ja, ganz gewiß!“
„Wie kann ein irdischer Leib in den Himmel kommen? Ist doch der Leib unseres Propheten auf der Erde geblieben!“
„Habe ich dir nicht von dem Berg der Verklärung erzählt? Und sagt nicht euer Prophet, daß Christus vor den Augen seiner Jünger aufgefahren sei?“
„Ja, es ist ein großes Wunder. Und er wird einst wiederkommen?“
„Um zu richten die Lebendigen und die Toten. Das sagt auch Mohammed. Er wird Seligkeit und Verdammnis geben. Ist er da nicht Gott? Muß er da nicht größer, herrlicher und mächtiger sein, als Mohammed, der nicht ein einziges Mal von sich sagt, daß er Richter sei?“
„Fast glaube ich es!“
„Fast? Nur fast? Christi Worte sind wahr, wie er selbst die Wahrheit ist. Er sagt von sich: ‚Benim-war hepsi kuwwet gökda toprak üzerinde – ich besitze alle Macht im Himmel und auf Erden!‘ Hat euer Mohammed ein einziges Mal so gesprochen?“
„Nein, Effendi. Ich werde meine Frau und meinen Freunden erzählen, was du mir erzählt hast. Ich wollte, ich hätte eure Heilige Schrift; dann könnte ich lesen und lernen, und vielleicht käme dann jener Heilige Geist, von dem du erzähltest, auch über mich, wie über die Gemeinde zum ersten heiligen Pfingstfest. Wenn der Mensch dürstet, so soll man ihm Wasser geben. Auch die Seele hat ihren Durst. Ich habe ihn gefühlt und ich habe geglaubt, Wasser zu trinken, wenn ich meine Gebete sagte und die Moschee besuchte. Jetzt aber ist es mir, als hätte ich kein reines Wasser gehabt, denn deine Worte sind klarer und erquickender als die Worte unseres Vorbeters. Ich bedaure, daß du hier fremd bist, und daß ich dich also niemals wiedersehen werde.“
„Ich werde bei dir bleiben, zwar nicht mit dem Körper, aber meine Worte werden nicht von dir weichen. Sie ruhen in deinem Herzen, wie der Same in der Erde ruht, und werden keimen und treiben und Früchte bringen. Und weil ich dich liebgewonnen habe und dir so viel Dank schuldig bin, will ich dir ein Geschenk zurücklassen, welches dich an diese Nacht erinnern soll, sooft du es in die Hand nimmst. Du kannst ja lesen. Es ist ein Buch. Ich kaufte es in Damaskus als ein Andenken an die Stadt der Gärten und der kühlenden Gewässer. Magst du erquickende Wasser fließen hören und sie auch trinken, wenn du es lesest! Hier ist es!“
Ich öffnete die Satteltasche, nahm das Buch heraus und gab es ihm.
„Was steht darin?“ fragte er. „Ist es ein Märchenbuch?“
„Nein. Nicht ein Märchen wirst du lesen, sondern die Wahrheit von Ewigkeit zu Ewigkeit. Deine Seele dürstet nach ihr, und du sollst sie haben. Dieses Buch ist das Neue Testament, welches alles enthält, was ich dir erzählt habe, und noch weit mehr.“
Da stieß er einen lauten Ruf der Freude aus, ein helles Jauchzen, dem man anhörte, wie glücklich ihn die Gabe machte.
„Effendi“, sagte er, „dieses Geschenk ist so groß, daß ich es gar nicht annehmen kann!“
„Behalte es in Gottes Namen! Ich bin nicht reich. Das Buch kostet mich keine große Summe, aber es enthält den
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