15 Tante Dimity und die Geister am Ende der Welt (Aunt Dimity Down Under)
Totenbett ist heilig«, erklärte Willis senior. » Ob du ihn erfüllen kannst oder nicht, spielt keine Rolle. Nur die Absicht zählt.«
» Vielleicht bist du erfolgreich, vielleicht auch nicht«, ergänzte Bill. » Aber du musst es versuchen. In diesem Sinne sind auch wir verpflichtet, dich zu unterstützen. Nicht, dass es in diesem Fall eine Last wäre. Wir tun unser Bestes für die Pyms, weil sie«– er zuckte mit den Schultern– » praktisch zur Familie gehören.«
» Besser hätte ich es nicht sagen können«, erwiderte ich. » Vielen Dank euch beiden. Mit dem Willis-Team im Rücken muss es ja eigentlich gelingen.«
» Und in diesem Sinne möchte ich euch Gute Nacht sagen.« Bill erhob sich. » Ich habe morgen früh um sieben eine Telefon-Konferenz im Büro, und es wird Zeit, dass ich mich aufs Ohr haue.«
» Auch ich werde zu Bett gehen«, sagte Willis senior und stand auf. » Will und Rob erwarten ein gewisses Maß an Energie, wenn ich sie morgen zur Schule bringe, und ich darf sie nicht enttäuschen.«
» Kommst du auch, Lori?«, fragte Bill.
» Gleich«, entgegnete ich. » Mir geht noch so vieles im Kopf herum, ich könnte sowieso nicht einschlafen.«
» Schalt langsam ab«, sagte er. » Du musst einen klaren Kopf haben, wenn du dich mit Fortescue Makepeace triffst.«
Er gab mir einen Kuss auf die Stirn und begleitete seinen Vater nach oben. Sofort sprang Stanley von der Fensterbank und trottete den Männern hinterher, zweifellos, um sich in unserem Ehebett den warmen Platz in Bills Kniekehlen zu sichern.
Ich wartete ab, bis im oberen Stock Stille eingekehrt war, und begab mich dann ins Arbeitszimmer, wo ich mit der einzigen Person zu sprechen hoffte, die meine umherwirbelnden Gedanken auf einen klaren Kurs bringen konnte. Ich hatte mein Vorhaben nicht erwähnt, denn obwohl Willis senior ein erfahrener Mann war, zweifelte ich daran, dass er mein Verhältnis zu Tante Dimity verstehen würde.
Zugegeben, es war ein ziemlich seltsames Verhältnis. Zum einen war Tante Dimity nicht meine Tante. Zum anderen lebte sie nicht mehr so richtig. Da man sie auf dem Friedhof von St. George zur Ruhe gebettet hatte, bevor Bill und ich in das Cottage zogen, würden die meisten Menschen sie wahrscheinlich als tot erachten. Ich gehörte nicht dazu.
Dimity Westwood wurde in England geboren und wuchs dort auf. Sie war die beste Freundin meiner verstorbenen Mutter. Die beiden Frauen waren einander während des Zweiten Weltkriegs in London begegnet, wo sie ihren jeweiligen Heimatländern dienten; später, nachdem die Kanonen schwiegen und meine Mutter nach Amerika zurückgekehrt war, hatten sie regelmäßig miteinander korrespondiert.
Ihr Verhältnis als Brieffreundschaft zu bezeichnen, wäre eine absolute Untertreibung gewesen. Dimitys Briefe halfen meiner Mutter, den frühen Tod meines Vaters zu bewältigen und die Herausforderungen anzunehmen, die ein Vollzeitjob und die Pflichten einer alleinerziehenden Mutter mit sich brachten.
Ihre lebenslange Korrespondenz war für meine Mutter eine Oase des Friedens inmitten des Chaos, in das sie so plötzlich geworfen worden war.
Meine Mutter hielt ihre Oase geheim. Als ich größer wurde, kannte ich Dimity Westwood nur als Tante Dimity, die unerschrockene und– wie ich dachte– rein fiktionale Heldin meiner Gutenachtgeschichten.
Von der wahren Dimity Westwood erfuhr ich erst, nachdem sie und meine Mutter verstorben waren. Denn Dimity bedachte mich mit einem erheblichen Vermögen, einem honigfarbenen Cottage in den Cotswolds, den Briefen, die meine Mutter ihr geschrieben hatte, und einem merkwürdigen, in blaues Leder gebundenen Notizbuch.
Mithilfe dieses blauen Buches sollte ich dann meine Wohltäterin kennenlernen. Wann immer ich das Buch öffnete und das Wort an die leeren Seiten richtete, erschien dort die gestochen scharfe Handschrift, die man in der Dorfschule gelernt hatte, zu einer Zeit, als eine Rechenmaschine noch ein altmodischer Abakus war und kein Computer. Als Tante Dimity sich zum ersten Mal aus dem Grab mit mir in Verbindung setzte, wäre ich fast in Ohnmacht gefallen, aber mittlerweile hatte ich sie als festen Bestandteil meines Lebens akzeptiert. Ich empfand es als Segen, dass ich die Heldin meiner Kindertage zur Freundin gewonnen hatte.
In der Dunkelheit des Arbeitszimmers hörte ich, wie ein aufkommender Wind im Kamin heulte, und der trockene Efeu schlug gegen die Scheiben des Fensters über dem alten Schreibtisch aus Eiche. Ich durchquerte den von
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