1505 - Der blinde Blutsauger
anders.
Urplötzlich verlosch das Licht, und um mich herum wurde es stockfinster.
Ich war einen Moment lang so überrascht, dass ich nicht in der Lage war, zu reagieren. Ich sah auch nichts und musste mir etwas zusammenreimen.
Vor mir bewegte sich die Tür. Das hörte ich, weil ein Windzug entstand.
Auch ein Geräusch hörte ich, was allerdings für mich schwer einzuordnen war. Und dann erwischte mich der Hieb. Irgendwo am Kopf, aber mehr am Hals.
Ich kam nicht mehr dazu, meine Waffe zu ziehen. Mein Schädel schien zu explodieren. Ich sah Sterne und verlor die Übersicht, zudem war in der Dunkelheit sowieso nichts mehr zu sehen.
Der Schrei oder das Lachen klang in der Nähe auf, aber ich hörte es weit entfernt.
Ich ging noch einen wankenden Schritt nach vorn. Es waren mehr reflexartige Bewegungen, nicht von mir gelenkt.
Bis ich dann stolperte. Irgendein Gegenstand lag mir im Weg, und den Halt fand ich nicht, denn ich griff mit meinen nach vorn gestreckten Armen ins Leere.
Dann fiel ich hin.
Dass ich mich im Fallen noch zur Seite drehte, war mein Glück. Ich prallte auf die linke Seite, stieß mir noch mal den Kopf, was auch nicht eben angenehm war, und dann hatte ich erst mal die berühmte Sendepause…
***
Phil Jurado fühlte sich wohl in seinem Job. Er war im letzten Monat dreißig Jahre alt geworden und konnte mit seinem Leben zufrieden sein, wie es bisher verlaufen war.
Er war stellvertretender Heimleiter und verstand sich mit seiner Chefin gut. Es gab da überhaupt keine Kompetenzprobleme, denn Phil war mehr der Praktiker. Er kümmerte sich direkt um die Insassen und deren Probleme, während sich Stella Doyle mehr mit dem theoretischen Kram auseinandersetzte. Dass sie das tat, empfand er als gut, denn der direkte Kontakt mit den Menschen war ihm wichtiger.
Wie jeden Tag, so ging er auch diesmal seine Runden. Er besuchte jeden Insassen kurz, ging in die Zimmer, erkundigte sich, ob alles in Ordnung war.
Der Mann mit den kurzen schwarzen Haaren und den sehr dichten Augenbrauen stand den anderen Kollegen immer mit Rat und Tat zur Seite. Er war auch deshalb beliebt, weil er stets die Nerven behielt und für die Sorgen aller ein offenes Ohr hatte. Nur nicht den Chef heraushängen lassen, das gab eine schlechte Stimmung, und die war Gift in einem solchen Heim.
An diesem Tag konnte er ebenfalls zufrieden sein. Nach seinem Rundgang besuchte er regelmäßig das Büro seiner Chefin, um ihr einen entsprechenden Bericht zu geben.
Das wollte er auch jetzt so halten, denn er dachte an den Besucher, der zu Stella Doyle gekommen war. Walter, der Hausmeister, hatte ihn angerufen, und er hatte die Chefin informiert. Er hätte ihr den Besuch gern abgenommen, aber sie hatte ja darauf bestanden, ihn selbst zu empfangen.
Er kam wieder nach unten in die Nähe des Eingangs und blieb verwundert stehen, als er in die kleine Loge schaute, in der eigentlich Walter hätte sitzen müssen.
Er saß dort nicht mehr.
Das verwunderte Jurado, denn er kannte Walter als einen zuverlässigen Menschen. Wenn er seine Loge verließ, um irgendwelchen anderen Aufgaben nachzugehen, gab er stets Bescheid.
Entweder wurde Stella Doyle informiert oder eben ihr Stellvertreter. Aber Phil hatte nichts gehört. Und gesehen würde auch keiner etwas haben.
Die Heiminsassen waren blind, aber man durfte sie auch nicht unterschätzen. Manchmal wussten sie über Dinge Bescheid, die eigentlich an ihnen hätten vorbeilaufen müssen, weil sie nichts sahen, aber mit den ihnen verbliebenen und gestärkten Sinnen machten sie vieles wieder wett.
So war es nicht verwunderlich, dass sich Phil an eine Frau wandte, die in der Nähe in einem Stuhl saß und strickte, obwohl sie nichts sehen konnte. Dafür hörte sie, dass Jurado auf sie zukam. Und sie erkannte aufgrund der Schritte, wer er war.
»Ach, Phil, Sie sind es.«
»Genau.«
»Alles in Ordnung?«
»Fast alles.«
»Hatte ich mir gedacht.« Die Frau ließ das Strickzeug sinken. »Wo drückt denn der Schuh?«
»So schlimm ist es auch nicht. Ich wundere mich nur, dass unsere Anmeldung nicht besetzt ist.«
»Ist Walter nicht da?«
»Genau.«
»Ich habe nicht gehört, Phil, dass er weggegangen ist. Tut mir leid. Vielleicht ist er irgendwo und muss etwas reparieren.«
»Ja, das wird es wohl sein. Lassen Sie es sich gut gehen, Mrs Fabrizi.«
»Danke, mein Junge, danke.«
Phil ging wieder. Nach zwei Schritten blieb er stehen und überlegte.
Nein, beunruhigt war er nicht. Es kam nur nicht so oft
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