151 - Der Barbarenfürst
alten Mann mußte man damit rechnen, daß er eines Tages starb.
Dann wäre alles umsonst gewesen. All die Strapazen, die wir hinter uns hatten – vergebens?
»Shrogg ist doch hier, oder?« fragte Mr. Silver gespannt. »Oder… hat er Thermac verlassen?«
Mir kam kein erfreulicher Gedanke: Shrogg – nicht bei Sabra, sondern bei Ronsidor! Verdammt, das hätte mir nicht gefallen.
»Ja, er ist hier, in meinem Palast«, antwortete Sabra.
Mir fiel ein Stein vom Herzen.
»Können wir ihn sehen?« fragte Mr. Silver bittend.
»Später. Nicht jetzt. Er braucht sehr viel Ruhe.«
»Ist er krank?« fragte der Ex-Dämon.
»Nicht krank«, antwortete Sabra, »aber es geht ihm nicht gut.«
Die Herrscherin von Thermac bat uns, wir sollten uns als ihre Gäste fühlen, und sie stellte uns Räumlichkeiten zur Verfügung, in die wir uns zurückziehen und in denen wir ausruhen konnten.
Ich bekam ein Zimmer für mich allein, nebenan wurden links Roxane und Mr. Silver und rechts Metal und Cardia untergebracht.
In den Raum, der daran grenzte, zogen Sammeh und Cnahl ein.
Meate blieb bei Sabra. Ich freute mich für das junge Mädchen. Es hatte wieder ein Zuhause. Irgendwann würde sie hier einen jungen Mann kennenlernen und sich in ihn verlieben. Wie wunderbar war das verglichen mit dem, was Otuna, Theck und Arson mit uns vorgehabt hatten.
Ich legte mich auf weiche, bunte Kissen. Ich wollte es nicht, aber mir fielen vor Müdigkeit bald die Augen zu. Wirre Träume suchten mich heim.
Ich erlebte alles noch einmal, manchmal sogar noch schrecklicher.
Schweißnaß erwachte ich und stellte fest, daß jemand den Raum betreten hatte, während ich schlief.
Man hatte mir zu essen gebracht – Dinge, die ich nicht kannte, die aber sehr appetitlich aussahen. Als ich davon probierte, stellte ich erfreut fest, daß sie auch äußerst schmackhaft waren, saftig und durstlöschend und so sättigend, daß ich nicht einmal die halbe
»Portion« runterbekam.
Ich stand auf und dehnte die Glieder. Wann würden wir Shrogg sehen, und wie lange würde es dauern, bis Mr. Silver seine magischen Kräfte wiederhatte?
Dämmerlicht flutete zum Fenster herein. Ich schaute hinaus, sah zwei alte Männer vor einem einfachen Haus sitzen, still und zufrieden. Solange es Sabra gab und solange Sabra ihre Zauberkraft besaß, war für die Bewohner von Thermac die Welt in Ordnung, wie ich sehen konnte. Ich hoffte, daß sich daran nie etwas ändern würde.
»Ausgeruht?« fragte plötzlich jemand hinter mir. Ich fuhr herum und erblickte Mr. Silver.
»Warst du schon bei Shrogg?« fragte ich.
Der Ex-Dämon schüttelte den Kopf. »Noch nicht, aber ich denke, daß wir ihn bald sehen werden. Ich nehme doch an, du möchtest mitkommen.«
»Klar. Wenn du nichts dagegen hast. Was hatte Sabras Reaktion zu bedeuten, als wir Shrogg erwähnten?« fragte ich. »Mir war, als wäre sie sehr traurig.«
»Das fiel mir auch auf. Ich weiß nicht, warum sie so reagierte, aber auch auf diese Frage werden wir bald eine Antwort bekommen. Sabra hat nach mir geschickt. Sie möchte mich sehen. Ich vermute, sie will mich zu Shrogg bringen.«
»Gehen wir«, schlug ich vor.
Wenig später befanden wir uns bei der Herrscherin von Thermac.
Sie saß auf einem Thron, der wie Elfenbein glänzte. Bei unserem Eintreten erhob sie sich.
»Shrogg ist jetzt wach«, sagte Sabra. »Wenn ihr wollt, bringe ich euch zu ihm.«
Und wie wir das wollten. Wir konnten es kaum erwarten, ihn zu sehen.
Sabra hätte eine ihrer Dienerinnen beauftragen können, uns zu Shrogg zu führen, aber sie tat es selbst, ohne zu befürchten, daß ihr dabei eine Perle aus der Krone fallen würde. Sie war eine sehr angenehme Herrscherin, die niemanden ihre Stärke spüren ließ. Für sie schien ihre Kraft ein Geschenk zu sein, das sie in Demut angenommen hatte mit dem Versprechen, damit Gutes zu tun, Milde, Verständnis und Herzenswärme walten zu lassen.
Ronsidor hätte diese Kraft ganz anders eingesetzt. Wenn ich daran dachte, was der Schreckliche damit angestellt hätte, rieselten mir Hagelkörner über die Wirbelsäule.
Über eine breite Treppe, die nach unten führte, erreichten wir einen großen fensterlosen Raum. Als ich Shrogg erblickte, krampfte sich unwillkürlich mein Herz zusammen. Der Mann bot ein Bild des absoluten Jammers. Er war so mager, daß man meinen konnte, er wäre am Verhungern. Shrogg bestand nur aus Haut und Knochen. Kein Wunder, daß er so schwach war.
Wir erfuhren von Sabra, daß er nichts aß.
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