1510 - Der Hexenbrunnen
mochte sie nicht. Sie gehörten zu den Orten, die sie ablehnte und hasste. Zwar war sie stark genug, um sich vor einem normalen Kreuz nicht zu fürchten, doch freiwillig eine Kirche zu betreten, das wäre ihr nie in den Sinn gekommen.
Auch in diesem Fall wollte sie nichts daran ändern. Aber um eine Kirche herum befand sich meist das Zentrum eines Ortes, und das wollte sie sich genauer anschauen.
Erschöpfung nach einem langen Weg spürte sie nicht. Und so ging sie wieder vor. Sie erreichte die ersten Häuser, kleine Bauten, die besonders in der Dunkelheit geduckt wirkten.
Sie ging vorbei, sah dann hinter einem Fenster einen schwachen Lichtschein und wurde plötzlich mit einem Schatten konfrontiert, der auf sie zuhuschte.
Justine wusste nicht, woher der Hund gekommen war. Aber er war plötzlich vor ihr, und ein scharfes Bellen erreichte ihre Ohren. Der Hund von mittlerer Größe sah aus, als wollte er sie anspringen, was er dann ließ. Er bellte noch mal, was schon leiser klang, fing dann an zu jaulen, zog den Schwarz ein und verschwand.
Justine lächelte. So war es fast immer bei ihr. Die Tiere spürten, wer sich hinter dieser menschlichen Maske verbarg. Das störte sie nicht, es machte sie eher stark, und mit diesem Bewusstsein setzte sie ihren Weg fort.
Die Kirche lag nicht direkt an der Straße, auf der sie sich befand. Um sie zu erreichen, musste sie sich etwas nach links halten.
Sie fand eine Gasse. Hier lagen die Häuser rechts und links hinter hohen Buschgruppen, und um sie herum war es finster wie in einem Tunnel.
Nach wie vor blieben ihre Sinne gespannt. Justine hatte sich darauf eingestellt, plötzlich einer Gefahr gegenüberzustehen, doch es passierte nichts. Lucy und ihre Freundinnen lauerten nicht in der Umgebung.
Wenig später sah sie die Kirche dicht vor sich in die Höhe ragen. Jetzt kam ihr der Turm schon größer vor. Das Licht der Scheinwerfer erreichte den Boden nicht, es war mehr auf den Turm gerichtet, was Justine nicht weiter störte.
Was sie hier suchte, wusste sie selbst nicht. Und sie fand auch keinen plausiblen Grund dafür, dass sie einige Male im Kreis ging. Das tat sie vor der Kirche auf einem Platz, der mit kleinen grauen Steinen gepflastert war.
Es gab auch einen Weg, der seitlich an der Kirche vorbeiführte. Wo er endete, war nicht zu sehen, doch er hatte Justines Neugierde geweckt.
Es war ein unbestimmtes Gefühl, das sie antrieb.
Justine schritt dicht an der Kirchenmauer entlang. Sie spürte noch die Wärme des Gesteins, die sich im Laufe des Tages angesammelt hatte und nun von den Mauern abgegeben wurde.
Einem inneren Impuls folgend ging sie schneller. Die Kirche ließ sie hinter sich und erreichte einen freien Platz, der an den Seiten von eine Hecke umschlossen wurde. Vor sich sah sie ein kleines Haus, das sie an eine Leichenhalle erinnerte. Wahrscheinlich traf das auch zu.
Sie ging noch drei Schritte weiter, blieb dann aber abrupt stehen.
In der Mitte des Platzes stand ein großer Gegenstand, der möglicherweise ein Kunstwerk darstellen sollte.
Das Ding sah aus wie ein riesiger Topf!
Justine schüttelte leicht den Kopf, als sie sich auf leisen Sohlen diesem Gegenstand näherte. Aber in ihr verstärkte sich die Vermutung, dass dieses Ding etwas Besonderes darstellen konnte. Und das in einem Kaff wie diesem!
Einen Schritt vor dem Hindernis blieb sie stehen. Jetzt war er deutlich zu erkennen. Sie musste nicht zweimal hinschauen, um zu wissen, dass es sich bei ihm tatsächlich um einen großen Kessel handelte, der auf vier krummen Füßen stand.
Justine zeigte sich leicht irritiert. Dann klopfte sie mit dem Knöchel gegen das Material und stellte fest, dass es sich um Metall handelte. Sie hörte den Klang und dessen Echo. Es ließ darauf schließen, dass dieser Kessel leer war.
Die Neugierde trieb Justine dazu, über den Rand ins Innere zu schauen.
Sie war fast ein wenig enttäuscht, als sie sah, dass der Kessel leer bis auf den Grund war.
Aber es gab schon etwas, das sie störte. Und das hing mit dem Geruch zusammen, der ihr aus dem Kessel entgegen stieg. Er sorgte dafür, dass Erinnerungen in ihr hochstiegen. Noch war sie nicht in der Lage, sie richtig einzuordnen, doch fremd waren sie ihr nicht.
Justine ließ den Gedanken erst einmal fallen, bückte sich und sah, dass dieses Gefäß auf einem Steinsockel stand. Und darauf entdeckte sie das Metallschild, auf dessen Oberfläche Buchstaben eingraviert waren. So tief und so deutlich, dass sie auch in der
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