1511 - Der letzte Engel
bildeten sie nur Schlitze, und das musste zunächst reichen.
Aber es tat sich etwas. Ich stellte sehr bald fest, dass wir an Höhe verloren, und mir kam automatisch in den Sinn, dass diese Gestalt nach einem Landeplatz Ausschau hielt, wobei ich mir die Frage stellte, wo sich der wohl befand.
In meiner Welt oder in einer anderen?
Ich wusste die Antwort nicht und musste mich deshalb überraschen lassen.
Wir glitten tiefer. Ich öffnete die Augen weiter, aber die Wolkenmasse oder was immer mich auch umgab, war noch zu dicht. Es gelang mir kein Blick bis auf den Boden. Unter Umständen gab es den auch nicht.
Der Wind schlug nicht mehr so hart gegen mich. Das Tempo hatte sich verringert. Ich hörte wieder mein Herz klopfen, und die Spannung in mir nahm zu.
Ich senkte den Blick und sah jetzt, dass etwas tief unter mir vorbeihuschte. Es konnte ein fester Untergrund sein, aber auch eine Wasseroberfläche.
Recht steil ging es abwärts. Unwillkürlich zog in die Beine an, weil ich nicht so fest aufschlagen wollte, streckte sie dann wieder aus, als ich den Untergrund näher kommen sah.
Die erste Berührung!
Ein Strom der Erleichterung jagte durch meinen Körper, denn es handelte sich nicht um Wasser, in das ich hätte eintauchen können. Es war alles okay, ich bewegte mich auf einer Fläche mit Widerstand und wurde noch vom Engel gehalten, als wollte er mich behüten.
Automatisch begann ich zu laufen. Es war ein angeborener Reflex, und das war auch gut so. Der Retter ließ mich los, doch bevor ich ihm nachschauen und ihn mir genauer ansehen konnte, war er bereits wieder in die Höhe gejagt, sodass ich ihn aus den Augen verlor.
Ich lief noch einige Schritte und blieb dann stehen. Meine Umgebung schaute ich mir nicht an. Ich war erst mal froh, noch am Leben zu sein.
Ich beugte mich vor, atmete tief durch und stellte fest, dass die Luft hier mit der in meiner normalen Umgebung zu vergleichen war.
Allmählich fand ich wieder zu mir selbst. Der Flug hatte leichte Stiche in meinem Kopf hinterlassen. Sie war ich gewohnt. Nach dem Erwachen durch Art Quinlains Schlag hatte es schon eine Weile gedauert, bis ich mich wieder einigermaßen fühlte.
Die innere Anspannung war nicht verschwunden, sie hatte sich sogar noch ein wenig gesteigert. Ich wusste nicht, ob ich mich allein in dieser Umgebung befand, denn eine klare Sicht gab es für mich nicht.
Wo sollte ich hin?
Es war das große Rätsel. Wohin ich auch schaute, ich fand mich in einer Umgebung wieder, die alles andere als klar war. Man konnte von einer verschwommenen Welt sprechen. Es sah um mich herum aus, als wären gewaltige Nebelwände aus dem Nichts erschienen, die sich dann überall in meiner Umgebung ausgebreitet hatten.
Aber sie waren nicht grau, und das unterschied sie von den normalen Nebelbänken, die ich kannte und auch in der Nähe des Hexenbrunnens erlebt hatte.
Diese hier setzten sich aus zwei Farben zusammen. Zum einen waren sie rot, zum anderen gelb, und da sie ineinander liefen, kam es zu Mischfarben.
Das war alles okay für diese Welt, nur nicht für mich. Ich glaubte fest daran, dass es nicht nur diese Leere hier gab. Irgendwo musste es noch etwas anderes geben, aber da konnte ich nur die Schultern anheben, denn ich sah nichts.
Leider ließ sich auch mein Retter nicht mehr blicken, dem ich gern die Hand gedrückt hätte.
Aber warum hatte er mich gerettet? Kannte er mich? Kannte er mich nicht? Ein Zufall war das sicher nicht gewesen. Ich musste da eher von einer gezielten Aktion ausgehen. Und wenn das zutraf, dann gab es eine Macht, die diese Aktion eingeleitet hatte.
Die sah ich nicht.
Ich war allein in dieser farbigen Welt, dessen Nebel mir den größten Teil der Sicht nahm. Ich sah auch in der Nähe keine Bewegung. Ich hörte keine Stimme oder ein gefahrvolles Geräusch, das auf ein Raubtier hingewiesen hätte.
Steckte ich in einer Dimension, die von geflügelten Wesen bewohnt wurde?
Man konnte sie auch als Engel bezeichnen, wobei nicht alle Flügel haben mussten. Die mächtigen Boten des Himmels hatten keine, das wusste ich von den Erzengeln her, die ich schon als feinstoffliche und weit entfernte Wesen gesehen hatte.
Aber mein Retter hatte Flügel oder Schwingen gehabt, und deshalb wollte ich ihn nicht unter die Engel einstufen, die ganz oben standen und dem Licht so nahe waren.
Dazwischen gab es zahlreiche Welten oder Dimensionen, über deren Aussehen ich nichts wusste. Mir war nur klar, dass es sie gab, und das war alles.
Warten?
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