1511 - Der letzte Engel
könnte. Auch X-Ray hatte noch keine Nachricht erhalten.
Wir bewegten uns in Richtung Westen und flogen in den Themsebogen hinein. Wie ein mächtiges Gemälde lag die erleuchtete Tower Bridge vor uns, noch immer eines der Londoner Wahrzeichen.
Allmählich näherten wir uns den Piers, wo die Ausflugsboote hielten.
Das war auch in dieser Nacht der Fall. Menschen stiegen ein und wieder aus, andere Boote hielten gar nicht erst an, weil sie gechartert worden waren.
Nach einem derartigen Boot hielten wir Ausschau. Allerdings musste es auch passen, und da verließ ich mich voll und ganz auf den Engel. Wenn er etwas spürte, war es Zeit für uns, zu reagieren.
Er stieg höher, damit wir die Tower Bridge überfliegen konnten. Wir wollten nicht unter ihr hindurch fliegen, was auch geklappt hätte. Da wäre das Risiko einer Entdeckung einfach zu groß gewesen. Das wollten wir auf keinen Fall riskieren. Noch waren wir nicht gesehen worden, und das sollte auch so bleiben.
Ich erlebte eine Sightseeing-Tour aus der Luft. Wäre nicht der Druck gewesen, hätte ich mich sogar recht wohl gefühlt, so aber blieb die Spannung bestehen, und ich schaute nicht zu dem rechts auftauchenden Tower of London, sondern nach unten auf das Wasser und gegen die Decks der Ausflugsboote.
Die Piers rechts und links, die London Bridge vor uns, die Uferseiten, die allesamt erleuchtet waren, und natürlich stach mir das erleuchtete Riesenrad ins Auge, eines der neuen Londoner Wahrzeichen. Man konnte den erleuchteten und sich drehenden Kreis einfach nicht übersehen. Auch in der Nacht drehte er seine Runden.
Als wir eine Eisenbahnbrücke passiert hatten, flogen wir auf die Southwark Bridge zu. Die neue, die Millennium Bridge, war die nächste, und da begann bereits die City auf London.
Noch keine Spur von dem Boot, das auf unserer Liste stand. Der Engel hatte zudem keine Botschaft erhalten, und so waren wir weiterhin auf unser Glück angewiesen.
Sollte es tatsächlich in der City passieren? Vielleicht sogar in der Nähe von Scotland Yard und dem Regierungsviertel?
Ich traute diesem Blake das ohne Weiteres zu, ohne ihn überhaupt gesehen zu haben.
Die Masse der Boote verdichtete sich. Vor uns lag die Waterloo Bridge.
An der rechten Seite erschien bereits das Somerset House mit seiner Galerie und der bekannten Gilbert-Kunstsammlung.
Aber weiter.
Als ich den Temple Pier sah, lief mir ein leichter Schauer über den Rücken, weil ich an meine Freunde in Südfrankreich dachte, und genau in diesem Augenblick zuckte der Engel zusammen.
»Was ist?«
»Ich spüre etwas.«
»Und wo?«
»Ich weiß noch nichts Genaues, aber wir sind in der Nähe.«
Es gab keinen Grund für mich, an diesen Worten zu zweifeln. Nur hatte diese Nachricht in mir die Spannung noch mehr gesteigert, und trotz der Kühle fing ich an zu schwitzen. Ich stellte mir bereits jetzt die Frage, wie alles enden würde.
An der rechten Schulter vorbei schaute ich in die Tiefe, als ich merkte, dass wir allmählich sanken. Der letzte Engel wollte es nun genau wissen.
Aber er war auch vorsichtig und achtete darauf, dass wir nicht gesehen wurden.
Vorbei am Pier der River Police glitten wir, und ich sah, dass ein Boot der Kollegen den kleinen Hafen verließ, um auf den Fluss hinauszufahren.
Hinter der Brücke sanken wir noch tiefer, und ich wollte wissen, ob XRay etwas spürte.
»Wir kommen näher.«
»Das ist gut.«
»Aber ich kann das Boot nicht erkennen. Ich spüre nur seine verdammte Aura.«
»Gehst du denn nach wie vor davon aus, dass er sich auf dem Wasser befindet?« Ich hatte in sein Ohr hinein gesprochen, um auch gehört zu werden.
»Wie kommst du darauf?«
»Es gibt auch Plätze am Ufer.«
»Nein, Blake ist auf dem Schiff. Er will unter Menschen sein. Er will sie in die Hölle schicken.«
»Und wie könnte das geschehen? Hast du dir schon darüber Gedanken gemacht?«
»Nein, aber da verlasse ich mich voll und ganz auf ihn. Er kennt verdammt viele Möglichkeiten, das kannst du mir glauben. Er ist gefährlich und kennt keine Rücksicht. Wir müssen noch weiter runter.«
»Okay.«
Ich behielt die Boote im Blick, denn um die Umgebung kümmerte sich der letzte Engel. Über die Verrücktheit unserer Aktion durfte ich gar nicht erst nachdenken, dann bekam ich einen Hals. Ich hoffte nur, auf dem richtigen Weg zu sein.
Da ich aus der Höhe ein gutes Blickfeld hatte, fielen mir gleich drei Boote auf. Zwei fuhren mit der Strömung, also in östliche Richtung. Eines aber
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