1517 - Die Mondhexe
du?«
Dany Pino hätte nie damit gerechnet, eine Antwort zu erhalten. Erneut war es die Frauenstimme, die er vernahm.
»Ich bin es - Luna.«
»Was?«
»Ja, Luna, die Mondhexe.«
Dany hatte alles gehört. Sein Gedankenapparat war nicht eingefroren. In seinem Kopf stimmte noch alles, und trotzdem kam er sich vor wie ein Mensch, der mitten in einem Märchen stand.
Er begriff nichts mehr. Die Lage war ihm über den Kopf gewachsen.
Eine Mondhexe passte nicht in die reale Welt, das war ausgeschlossen.
Das gehörte wirklich ins Reich der Fabel.
Und trotzdem - geirrt hatte er sich nicht.
Dieser Begriff - Mondhexe - war deutlich, zu verstehen gewesen.
Er spürte, dass ihm das Blut in den Kopf stieg. An seine sonstige Aufgabe verschwendete er keinen Gedanken mehr. Er dachte nur noch an die Frauenstimme, die er vernommen hatte, und über ihm hing der Mond, zu dem er noch immer hinaufschaute.
»Dort bin ich nicht!«
Da war sie wieder, die Stimme. Flüsternd, weich, und trotzdem jagte sie ihm einen Schauer der Angst über den Rücken. Irgendwo in seiner Magengegend ballte sich etwas zusammen. In seinem Kopf tuckerte es.
Er spürte auch Stiche, und die zwangen ihn, den Kopf zu senken.
Sein Blick fiel wieder über das Feld. Da stand sie!
Die fast nackte Frau, die sich selbst als Mondhexe bezeichnet hatte!
Es war nicht zu fassen. Er hätte am liebsten geschrien, aber in seiner Kehle saß ein dicker Kloß. Seine Augen standen weit offen, sein Blick war noch immer starr. Er war auch nicht in der Lage, richtig Luft zu holen. Er hatte nur Blicke für die Frau, die kein Trugbild war - oder doch?
Wie war es möglich, dass sie praktisch aus dem Nichts entstanden war?
Genau das bereitete ihm Probleme. Aber es war auch kein Irrtum, was er da mit seinen eigenen Augen zu sehen bekam.
Fast nackt! Ein helles Tuch hatte sie lässig um ihre Hüften geschlungen.
An der rechten Seite hielt es ein dicker Knoten zusammen.
Der Oberkörper war bloß, und trotzdem sah er die Brüste nicht, denn sie waren unter den davor verschränkten Armen verborgen.
Er sah das lange dunkle Haar im sanften Wind flattern, und er sah die kleine Scheibe, die sie an einem schwarzen Band um den Hals trug und die ebenso rund war wie der Mond. Und dieses Schmuckstück gab tatsächlich den gleichen Glanz ab wie der Mond.
Die Mondhexe!
Frau und Zauberin.
Eine Person, die ihn abstieß und ihn zugleich anzog. Sie hatte sich bisher nicht bewegt, und ihre erste Bewegung war nun ein Heben der Lider. Fantastisch!
Den Vergleich sprach er nicht aus. Er schoss ihm nur durch den Kopf, denn erst jetzt war es ihm möglich, in die Augen der Person zu schauen.
Er sah dort das gleiche Licht wie auf der Scheibe. Oder war es nur eine Farbe, die das Licht vorgaukelte?
Dany Pino war völlig durcheinander, obwohl er weiterhin wie ein Holzblock auf dem Feld stand. In seinen Augen lag kein Leuchten, sie waren normal wie immer, aber auf seinem Gesicht malte sich schon der Schrecken ab.
»Überrascht?«, flüsterte die Mondhexe.
Er nickte.
»Das sind alle Menschen, denen ich begegne. Sie sind überrascht. Sie denken an alles Mögliche, aber sie wollen die Wahrheit nie so recht akzeptieren.«
Die Spannung löste sich bei Dany. Er hob den rechten Arm halb an und deutete zum dunklen Himmel, der nur in der unmittelbaren Nähe des Mondes einen hellen Schein hatte.
»Kommst du - kommst du - von dort oben?«, hauchte er mit einer kaum verständlichen Stimme.
»Ja, ich komme von dort.«
»Und-und…«
Plötzlich schoss ihm etwas Verrücktes durch den Kopf.
Als Kind hatte ihm seine Großmutter von einem Mann im Mond erzählt.
Ein Mensch, der an einem Sonntag gearbeitet und Holz gesammelt hatte. Danach war er für alle Ewigkeiten verflucht worden und musste mit seinem Holz auf dem Rücken innerhalb des Mondes stehen, bis zum Ende aller Zeiten.
Als Junge hatte Dany die Geschichte geglaubt, denn seine Großmutter erzählte keine Lügen. Doch als Erwachsener hatte er darüber nur den Kopf schütteln können, was er auch jetzt noch getan hätte, wäre da nicht die nackte Person gewesen. Und so fiel ihm ein, dass sich die Großmutter vielleicht geirrt hatte und der Mann im Mond eine Frau gewesen war. Man konnte ja nie wissen.
»Du glaubst es nicht?«
Er nickte.
»Ich bin die Tochter des Mondes. Eine Hexe, eine Frau mit seinem Licht in meinem Innern. Ich bin diejenige, die manchmal auf die Erde geht, um den Menschen klarzumachen, dass sie gewisse Dinge nicht tun dürfen. Der
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