1528 - Im Schlund der Bestie
leiser Stimme: »Haben Sie einen Plan, was wir jetzt tun können?«
»Den habe ich nicht. Ich gebe zu, dass ich für einen Moment daran gedacht habe, Sie vom Friedhof zu schaffen. Nur würde uns das nicht viel bringen, denn dieser Dämon will nicht nur mich, sondern auch Sie. Darüber müssen Sie sich im Klaren sein.«
»Wir bleiben«, sagte sie entschlossen.
Ich nickte.
»Und wo?«, fragte sie. »Sollen wir uns in die Kapelle zurückziehen?«
»Es wäre eine Möglichkeit«, gab ich zu. »Von einem idealen Ort möchte ich dabei jedoch nicht sprechen. Ich halte unseren Gegner für stark genug, auch dieses Hindernis zu überwinden. Wir müssen einfach darauf warten, was passiert, und dann reagieren. Mehr können wir nicht tun.«
Das Grummeln unter der Erde war zunächst verstummt. Ich glaubte aber nicht daran, dass es ganz verschwunden war. Dieser verdammte Seelenfresser hatte zunächst nur andeuten wollen, dass er über uns Bescheid wusste. Dies war zudem der perfekte Ort für ein Showdown, und ich merkte, dass es mir kalt den Rücken hinabrieselte und sich in meinem Nacken eine Gänsehaut gebildet hatte.
Ich ließ meine Blicke über das Gräberfeld wandern. Zugleich kam mir ein bestimmter Gedanke. Ich dachte wieder an den Krater neben der Autobahn, in dem ein Fahrzeug hätte verschwinden können. Hier war die Erde noch geschlossen, aber wenn sie sich hier öffnen würde, dann konnte es dazu kommen, dass sie nicht nur alles verschlang, was sich auf der Oberfläche befand, sondern das Gegenteil eintreten konnte.
Was unter der Erde lag, das konnte sehr leicht auch in die Höhe geschaufelt werden, und das waren in diesem Fall nicht nur Sand und Erde, sondern auch das, was sie verbarg.
Leichen!
Tote, die unterschiedlich lange in der kalten Erde lagen. Manche noch als Skelette, andere schon völlig zu Staub zerfallen. Jedenfalls würde dieser Friedhof entweiht werden und seinen Inhalt an die Oberfläche schaffen.
Wir schauten uns an. Ich sah keine Angst im Blick der Polizistin. Sie vertraute mir. Dann erkundigte sie sich nach meinem Kreuz.
»Danke, dass Sie mich daran erinnern, Steffi.« Ich hatte es wieder in die Tasche gesteckt und nahm es nun hervor. Die leichte Wärme, die es ausstrahlte, war deutlich zu spüren.
Steffi schaute zu, wie ich es offen vor meine Brust hängte. Sie kämpfte noch mit sich und fragte mich leise: »Darf ich es noch mal anfassen?«
»Bitte.«
Sie hielt dicht vor mir an und ließ meinen Talisman durch ihre Hände gleiten. Dabei lächelte sie und flüsterte: »Ob Sie es glauben oder nicht, es tut mir gut.«
»Sehr schön.«
»Es gibt mir auch Mut. In meiner Kindheit habe ich wohl zum letzten Mal ein Kreuz angefasst. Danach war alles vergessen. Tut mir leid, dass ich so etwas sagen muss.«
»Wichtig ist, dass Sie es nicht vergessen haben.«
»Nein, das habe nicht, ich…«
Der Boden vibrierte urplötzlich. Diesmal meldete sich die andere Seite stärker, denn das leichte Schwanken war auch für uns gut zu spüren.
Steffi drehte sich von mir weg und ihr Blick glitt zu der kleinen Kapelle hin, die für sie so etwas wie eine Rettungsinsel vor dem Bösen war. Ihre Gesichtszüge waren gespannt. Die Augenlider bewegten sich zuckend, und ein erneutes Grollen ließ uns beide zusammenzucken. Es war diesmal viel lauter, und auch die Bewegungen des Bodens hatten an Stärke zugenommen.
Bevor wir starteten, schaute ich mir noch mal kurz die Kapelle an. Eine Befürchtung steckte in mir. Ich hatte Angst davor, dass das alte Gemäuer den Vibrationen nicht standhalten konnte und plötzlich zusammenbrach. Das wäre schlimm gewesen, aber ich setzte trotzdem meine Hoffnung auf diesen Hort des Glaubens. »Kommen Sie!«
Jede Sekunde, die wir länger im Freien standen, war vertane Zeit. Ich fasste Steffi am Arm und zerrte sie mit. Sie schaute dabei zurück und sah deshalb vor mir, was geschah.
Es begann mit einem Paukenschlag. Plötzlich riss der Boden nicht nur vor uns auf, die Veränderung zeigte sich auch auf dem gesamten Friedhof, und auch wir wurden davon in Mitleidenschaft gezogen.
Ich hatte einen langen Schritt nach vorn getan und sackte mit dem rechten Bein weg. Sofort löste ich meinen Griff um Steffis Arm. Ich rutschte in eine Bodenfalte hinein, ohne irgendwo Halt zu finden, und befürchtete schon, in der Tiefe zu verschwinden.
Das trat zum Glück nicht ein. Ich war nur in ein Loch gefallen, mehr in eine tiefe Mulde. Auf dem weichen Erdreich kam ich zur Ruhe, musste meine taumelnden
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