153 - Das Ende der Technos
dicksten, obersten Ast des Holzstoßes.
»Immer unten beginnen!«, riet ihm Su gut gelaunt. »Zünde zuerst das Laub und die abgebrochenen Rindenstücke an!«
»Weiß ich doch selbst!«, knurrte Pat wütend.
Ungeschickt schraubte er den Gasfluss des Feuerzeugs weiter nach oben und verschwendete so wertvolle Energie. In Eve sträubte sich alles gegen das gedankenlose Tun. Fäulnisgas der Community-Kloaken war stets als wichtiger Rohstoff gehandelt worden.
Endlich brachte Pat ein kleines Feuer zum Lodern. Fasziniert sah die Psychologin zu, wie es sich verbreitete, auf die größeren Scheite übergriff und schlussendlich hell brannte.
»Ist ein so großes Feuer nicht riskant?«, erkundigte sie sich bei Linus. »Sollten Barbaren in der näheren Umgebung sein, werden sie den Rauch sehen.«
»Nein.« Der Junge tat die Frage mit einer beiläufigen Handbewegung ab. »Wenn irgendwelche Horden es wirklich darauf anlegen würden, uns zu überfallen, würden sie uns auch ohne Feuer finden. Für die Barbaren hinterlassen wir Spuren wie ein EWAT.«
Er hatte erneut Recht, stellte Eve betroffen fest. Sie fiel immer wieder in alte Gedankenschemata zurück, verglich das Wissen der Barbaren mit ihrem. Die Lords bewegten sich hier in gewohnter Umgebung, sozusagen durch ihr vergrößertes Wohnzimmer. Ihnen, den Technos, war diese Umgebung hingegen fremd und unheimlich.
Ein weiterer Gedanke schoss ihr durch den Kopf, während sie einen langen dürren Ast abbrach, ins Feuer hielt und damit das Strauchwerk in der näheren Umgebung vorsichtig in Brand setzte: Instinktiv hatte sie Linus heute als neuen Anführer der kleinen Gruppe akzeptiert. Der Bursche war ein typisches Alpha-Tierchen – auch wenn er sich seiner Stärken noch gar nicht bewusst war. Durch die Gnade ihrer Jugend hatten er und seine Schwester den eintönigen, eingefahrenen und von strengem Regelwerk geprägten Rhythmus eines Bunkerlebens rascher als alle anderen ablegen können.
Linus gab weitere Anweisungen, was zu tun war, während sich Su um die Donaghues kümmerte.
Die beiden alten Leute mussten glauben, sich durch einen Albtraum zu bewegen. Wie sie die Kraft aufgebracht hatten, sich in der Dunkelheit aus dem Bunker-Irrgarten nach oben zu retten, war Eve rätselhaft.
Der Abend brach herein.
»Wie weit sind wir heute gekommen?«, fragte Li, während sie sich nervös über die verbundene Hand rieb. »Ist es noch weit bis nach London?«
»Ich schätze, dass wir zwanzig oder fünfundzwanzig Kilometer hinter geschafft haben«, sagte Linus. »Das wäre ungefähr ein Fünftel der Wegstrecke.«
»Was ist eigentlich mit diesem… diesem Fallout?«, brach es plötzlich aus Pat hervor. Der Soldat blickte sich immer wieder beunruhigt um, mit den Reflexen eines in die Ecke gedrängten Tieres. »Wenn die Damurren die Bombenkette gezündet haben, müssten wir doch irgendwann die Strahlung abbekommen.«
»Ich habe keine Ahnung«, beantwortete Eve die Frage, von der sie gehofft hatte, dass niemand während der Reise sie stellen würde. »Wir wissen nicht, auf welcher Basis die Bomben gezündet wurden. Je nach Art der atomaren Spaltprodukte, die die Daa’muren verwendet haben, fallen die Strahlungsart und die Halbwertszeit aus. Dann spielt es auch noch eine Rolle, ob die Bombe unter- oder überirdisch gezündet wurde. Der EMP-Schock, der offensichtlich die ganze Welt erfasst hat, ist ebenfalls kein besonders guter Indikator.«
»Aha«, murmelte Pat und kratzte sich am Unterbauch. Was so viel bedeutete wie: »Ich hab nur Bahnhof verstanden.«
Langsam verstummten alle Gespräche. Sie waren erschöpft.
Die ungewohnten Eindrücke versetzten sie den Tag über in eine äußerst angespannte Stimmung. Nun, mit Beginn der Dämmerung, verlangten Körper und Geist nach Erholung.
Sie erledigten die letzten Aufgaben, um ihr Lager für die Nacht so sicher wie möglich zu machen, teilten die Nachtwachen ein und legten sich schließlich zum Schlafen nieder.
Wohlig seufzend wühlte sich Eve in den Schlafsack, den sie mit Su teilte. Trotz der Umstände hatte sie das Gefühl, dass sie es schaffen würden. Vier Tage noch, schätzte Eve, dann hatten sie London erreicht und konnten ihre Situation neu bewerten.
Irgendwie – sie begriff nicht richtig, warum – freute sie sich auf morgen.
Gegen drei Uhr übernahm sie gemeinsam mit Pat die letzte Wache und weckte die anderen mit der ersten Morgendämmerung.
Doch ein Mitglied ihrer kleinen Gruppe, Li Donaghue, erwachte nicht mehr.
4.
Pat
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