153 - Das Ende der Technos
Gesicht gegen einen Baum gekehrt, und murmelte Sinnloses vor sich hin. Eve unternahm mehrere Anläufe, ihn zu trösten, ihm die Hände auf die Schultern zu legen und den Schmerz der armen, gequälten Gestalt zu lindern.
Tote mussten betrauert werden. Tränen, Zorn und das Hadern mit der Welt gehörten seit jeher zum Menschsein wie das Bedürfnis nach Nahrung und Schlaf.
Doch Mboto wehrte jeden ihrer Versuche ab. Nicht wütend oder von Trauer erfüllt, nein. Er fühlte sich wie ein Wesen an, das seine Seele verloren hatte.
»Blutvergiftung«, konstatierte Pat währenddessen nüchtern Lis Todesursache. »Ihre Arme sind blau angelaufen, die Zunge ebenfalls. Irgendwann während der Nacht muss das Herz versagt haben. Und so verkrampft, wie sie daliegt, war’s kein sehr angenehmer Tod.«
Erschüttert blickte Eve auf die tote Frau hinab. Mit ihren eingefallen Gesichtszügen und den weit aufgerissenen Augen wirkte sie wie ein Sinnbild für alle Technos. Ihre Kultur lag in den letzten Zügen. Ein kleiner Kratzer hatte ausgereicht, um Li trotz des Immunserums den Tod zu bringen.
»Wir begraben die Alte, und dann geht’s gleich weiter«, sagte Pat mit dem ihm eigenen Charme. Er war der Einzige, der den Mund noch aufbrachte. Nach den Hochgefühlen des gestrigen Tages, als sie geglaubt hatten, es zu schaffen, fühlten sie sich nun zutiefst traurig, enttäuscht, hoffnungslos.
Kopfschüttelnd machte sich Eve an die Arbeit. Mit halb angekohlten Holzscheiten und flachen Steinen hoben sie gemeinsam eine flache Grube aus, in die sie Li betteten.
»Willst du dich verabschieden?«, fragte die Psychologin schließlich Mboto, der sich nicht von der Stelle gerührt hatte.
»Nein«, sagte Lis Ehemann, blickte weiterhin in eine Ferne, die sich nur ihm eröffnete, und neigte den Kopf vor und zurück, als meditierte er. Mit keiner Regung ließ er erkennen, was er eigentlich empfand.
Eve sprach ein kleines Gebet, das Worte aller bekannten Konfessionen zusammenfasste, und verstreute ein wenig Erde über Lis Grab.
Wie lapidar, wie nichts sagend kam ihr dies alles vor. Sie hatte Li kaum gekannt. Nur der Zufall – oder das Schicksal – hatten sie zusammengeführt. Und nun war der gemeinsame Weg schon zu Ende.
Sie löschten das Feuer, packten ihre Habseligkeiten zusammen, nahmen Mboto bei den Händen und marschierten weiter.
Das Wetter hatte sich ihrer Laune angepasst. Nebel hing tief über der flachen Einöde und machte aus jedem Schatten einen unheimlichen Feind. Es war ein trauriger Zug, der durch das sumpfige Marschland stolperte.
Eine dünne Frostschicht lag über dem Morast und ließ sie mit jedem Schritt unberechenbar tief einbrechen. Selbst Linus marschierte nur zögernd vorwärts.
»Kennst du dich hier aus?«, fragte er schließlich Eve.
»Nein«, musste sie achselzuckend bekennen. »Ich glaube nicht, dass ich hier schon mal durchgekommen bin. Rulfan und ich haben uns meist nördlicher bewegt, schätze ich.«
Sie orientierten sich anhand der Grasflächen, die einzelne Festlandinseln miteinander verbanden. Su vermutete, dass dort entlang der Untergrund ausreichend fest war, um sie zu tragen.
»Soll’n wir wirklich hier weitergehen?«, fragte irgendwann Pat. Er fluchte fürchterlich, während er seinen knietief eingesunkenen rechten Fuß aus dem Schlamm zog. »Wär doch besser, wir marschieren zurück und versuchen es weiter oben im Norden.«
»Das würde uns zu viel Zeit kosten. Die wir nicht haben«, sagte Eve bestimmt. Instinktiv tastete sie nach ihrem Serumsbeutel. Täuschte sie ihr Gefühl, oder leerte sich das Ding rascher als sonst?
Linus marschierte weiterhin vorneweg, gefolgt von Su und Eve, die den apathischen Mboto auf dem Weg hielten. Pat folgte in einigen Metern Abstand, sicherte immer wieder nervös nach allen Seiten.
Zu Mittag hielten sie an. Sie aßen vom übrig gebliebenen Fleisch und dem über Nacht geräucherten Fisch.
Seltsam, wie rasch man sich an alles gewöhnt , dachte Eve, während sie die zähen Bissen hinabzuwürgen versuchte. Und wie viel weniger eigentlich notwendig ist, um zu überleben.
Irgendein Vogel gab Laut, und gleich darauf begann es zu nieseln. Oktoberkälte kroch in ihre klamme Bekleidung.
Rasch standen sie auf und marschierten weiter.
Stechmücken, vor denen sie sich unter allen Umständen hüten mussten und derentwegen sie jeden Zentimeter Haut verhüllten, blieben glücklicherweise rar. Es sah so aus, also würde der erste Schnee nicht mehr lange auf sich warten
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