1533 - Das Tarot-Rätsel
Mich soll es nicht töten, und es wird mich auch nicht töten, denn ich bin gekommen, um es weiterzugeben.«
»An uns?«
Gilbert nickte Suko zu und sprach ihn trotzdem nicht direkt an.
»Nicht nur an euch, sondern auch an alle Menschen hier in Woodside. Sie will endlich aus ihrem Versteck heraus und das werden, was sie der Sternengöttin versprochen hat. Sie will die Vergangenheit wieder aufleben lassen. Alte Zeiten zurückholen. Die Macht soll sich verteilen. Versteht ihr das? Und deshalb bin ich hier.«
Damit hatte Lewis Gilbert alles gesagt, und wir sahen, dass er sich in Bewegung setzte. Er ging auf uns zu, und es war klar, dass er den Auftrag erhalten hatte, mit uns zu beginnen, denn seine Sternengöttin hielt sich zunächst im Hintergrund. Wahrscheinlich standen wir unter Beobachtung der Frau, die sehen wollte, wie weit er mit seinem Angriff kam.
Ich wollte auch gehen, aber Suko streckte seinen linken Arm zur Seite.
»Nicht, John, ich denke, das kann ich regeln.«
»Okay.« Gern tat ich es nicht, doch ich wusste auch, dass ich nicht die richtige Waffe besaß.
Suko hatte bereits durch seine Dämonenpeitsche bewiesen, wie man mit solch veränderten Personen umgehen musste.
Er ging zügig zu Werke. Er holte die Peitsche hervor, und jetzt sahen Braddock und ich, dass er sie bereits vorbereitet hatte. Er brauchte nicht noch mal den Kreis zu schlagen, die Riemen waren bereits ausgefahren, und so hielt er eine schlagbereite Waffe in der Hand.
Das sah Lewis Gilbert, aber er wusste nicht, was das für ihn bedeutete.
Er schaute Suko an, und er sah auch, dass der Chinese direkt auf ihn zukam. Was ihn wirklich erwartete, konnte er nicht ahnen. Sonst hätte er nicht so kalt gegrinst.
»Was hat er vor?«, flüsterte Braddock mir zu.
»Das werden Sie gleich erleben.«
»Meinen Sie, dass er - ich meine - ich habe es ja gesehen, das mit der Peitsche. Aber im Garten war das eine Steinfigur und hier…«
»Warten Sie ab.«
Der junge Kollege wusste, dass es besser war, wenn er den Mund hielt und sich nur auf das konzentrierte, was bald geschehen würde.
Sowohl Suko als auch Gilbert Lewis gingen noch einen kleinen Schritt nach vorn, sodass die Distanz genau richtig für Suko war.
Er musste nicht viel tun. Er hob nur den rechten Arm mit einer lockeren Bewegung an, und dabei bewegten sich auch die drei Riemen der Peitsche. Sie glitten zunächst ein Stück in die Höhe, und dann schlug Suko aus dem Handgelenk zu.
Volltreffer!
Auf dem Weg zum Kopf und zur Brust hin falteten sich die Riemen auseinander. Ich kannte diese Fächerformation sehr gut, denn ich hatte sie schon oft genug erlebt, und als sie Gilberts Gesicht trafen und mit ihren unteren Enden am Hals entlang glitten, da sah es aus, als hätte der Zuchthäusler einen heftigen Stoß erhalten, der ihn nach hinten taumeln ließ.
Sich irgendwo festzuhalten war nicht möglich. Er ruderte mit den Armen.
Er fluchte und schrie zugleich. Sein Gesicht verzerrte sich zu einer Maske. Wer gedacht hätte, dass er zu Boden fallen würde, der irrte, denn er taumelte weiter quer über die Straße.
Und dabei starb er.
Wie wir es schon mal erlebt hatten, so schlugen aus ihm plötzlich die Flammen hervor. Und wieder war es kein normales Feuer, sondern diese weißen, fingerlangen Zungen, die nicht normal flackerten, sondern in die Höhe stiegen, dabei zuckten wie verrückt und den Kopf zuerst zu einem weißen Mehl verbrannten.
Wir hatten schon schlimmere Bilder gesehen. Und doch war es ein Anblick, der sich nur schwer ertragen ließ, weil es eben nur den Kopf erwischt hatte.
Und Gilbert fiel noch immer nicht. Er starb stehend. Die Flammen verbrannten die Haut zu einer mehligen Masse, die zusammensackte.
Das geschah nicht schlagartig. Die Masse sackte langsam zusammen, und man konnte das weiße Pulver auch mit rieselnden Schneeflocken vergleichen, die zu Boden sanken. Von seinem Gesicht war nichts mehr zu sehen, als er endlich nach hinten kippte und auf dem Boden liegen blieb.
Tot und ohne Kopf!
Ich war vorgegangen. Hinter mir hörte ich einen würgenden Laut. Als ich mich umdrehte, stand Simon Braddock vor mir und hielt eine Hand gegen seinen Mund gedrückt. Dabei hatte er die Augen weit aufgerissen, sodass sie ihm fast aus den Höhlen traten.
»Bleiben Sie, wo Sie sind, Simon!«, sprach ich ihn an, ohne ihm eine weitere Erklärung zu geben.
Er nickte nur, und ich ging auf Suko zu, der neben dem Kopflosen stand und mich mit einem langen und bedächtigen Blick
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