1533 - Das Tarot-Rätsel
Die meisten Einwohner saßen beim Abendessen. Hin und wieder erschnupperten wir den Geruch von Essen, und es war beim besten Willen nichts von einer Gefahr zu spüren.
Konstabler Simon Braddock stand nicht mehr vor der Tür der Polizeistation. Er war hineingegangen, wo ich ihn antraf. Suko wollte draußen bleiben und die Augen offen halten.
Braddock war dabei, einen Schluck Kaffee zu trinken. Als er mich eintreten sah, ließ er die Tasse sinken. Wahrscheinlich sah er es meinem Gesicht an, dass ich keine guten Nachrichten hatte.
Ich fiel auch gleich mit der Tür ins Haus, als ich sagte: »Ethel Brown ist in der Stadt.«
Braddocks Hand mit der Tasse sank nach unten. Weit riss er die Augen auf und stieß das Wort »Nein!« wie einen Zischlaut hervor.
»Doch.«
»Und wo?«
Ich ließ ihn erst trinken, dann erzählte ich ihm die Geschichte. Und ich vergaß auch den Toyota nicht, in dem sie allein gesessen hatte.
»Verdammt«, flüsterte er, »das kann nur zu bedeuten haben, dass sie sich den Wagen der beiden Ausbrecher geholt hat. Mit einer fast hundertprozentigen Wahrs cheinlichkeit.«
»So sehe ich das auch.«
»Und weiter?«
»Sie treibt sich hier irgendwo herum und wartet auf einen für sie günstigen Zeitpunkt.«
Die Schweißperlen auf Braddocks Stirn stammten sicherlich nicht nur vom heißen Kaffee. »Was meinen Sie damit?«
»Ich will hier nicht den großen Schwarzseher geben, Mr Braddock, aber es könnte darauf hinauslaufen, dass sie versuchen wird, in Woodside ihre Zeichen zu setzen, um den Ort unter ihre Kontrolle zu bekommen.«
Braddock erbleichte. Er musste erst nachdenken, bevor er anfing zu sprechen. »Dann - dann könnte es sein, dass wir alle unter ihren Bann geraten…«
»Sie wird es versuchen.«
»Alle, die hier wohnen?«
»Warum sollte sie jemanden auslassen? In ihr steckt eine uralte Kraft, und Ethel hat den Weg leider zu ihr gefunden, was niemand hat verhindern können. Schon zu Urzeiten wollte die Sternengöttin Macht gewinnen. Man hat ihr einen Riegel vorgeschoben. Aber sie wollte nicht in der Versenkung verschwinden, sondern Teil des Tarots sein. Das ist ihr damals misslungen, und das möchte sie heute ändern. Die Zeit ist vergangen, sie allerdings nicht, und sie hat eine Unterstützerin in dieser Ethel Brown gefunden. So sieht die Wahrheit aus.«
»Die furchtbar ist, Sir.«
Ich hob die Schultern. Zu einem Kommentar kam ich nicht mehr, sehr schwungvoll wurde die Tür aufgestoßen, und plötzlich stand Suko im Raum. Seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen musste etwas geschehen sein, das bemerkte nicht nur ich.
»Okay, Alter, sag, was los ist.«
»Ihr solltet nach draußen kommen.«
»Gut.«
»Ich auch?«, fragte Braddock. »Es wäre besser.«
Ich ging vor und folgte Suko ins Freie. Hinter mir hörte ich den jungen Kollegen scharf atmen. Natürlich ging ich davon aus, dass etwas passiert war, sonst hätte Suko nicht so gehandelt, und ich war eigentlich etwas enttäuscht, als ich ins Freie trat und zunächst mal wenig sah, was auch daran lag, dass die Straße nicht eben hell erleuchtet war.
Aber der Mann, der in einer Entfernung von gut drei Schritten vor uns stand, war gut zu erkennen.
Simon Braddock kannte ihn am besten von uns, wenn auch nur von den Fahndungsfotos.
»Das ist ja dieser Lewis Gilbert!«
»Ja«, bestätigte Suko. »Aber schauen Sie sich ihn mal genauer an, mein Freund.«
Das tat nicht nur Simon Braddock, auch ich hielt mich an den Ratschlag, und ich sah das, was Suko gemeint hatte.
Der Ausbrecher leuchtete von innen hervor!
***
Ich sah diesen Menschen zum ersten Mal. Lewis Gilbert war nicht eben ein kräftiger Mann. Man konnte ihn als hager und überdurchschnittlich groß bezeichnen, aber er war auch ein verschlagener Typ, so zumindest kam mir sein Gesicht vor, in dem die Augen wie kleine Kugeln wirkten.
Er hatte ein langes Kinn, an dem ein paar Barthaare wuchsen, die im leichten Wind zitterten.
Er schaute uns nur an, und das Licht hatte sich in seinem Innern vom Kopf bis zu den Füßen ausgebreitet. Es hatte eine ungewöhnliche Stärke und machte ihn fast durchsichtig.
Ich hielt mich zurück. Suko stellte die erste Frage.
»Warum sind Sie gekommen?«
»Man hat mich geschickt!«
»War es Ethel Brown?«
»Es war die Göttin. Sie hat auf mich gewartet. Sie hat mich in den Arm genommen und…«
»Ihren Partner nicht, mit dem Sie geflohen sind?«, fragte Simon Braddock mit hektischer Stimme.
»Nein. Ihn hat das Licht getötet. Er liegt im Wald.
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