1534 - Weg der Verdammten
leise Schluchzen war nicht zu überhören.
Zugleich setzten wir uns in Bewegung.
Wir gingen auf unser Ziel zu, das sich sehr schnell hervorschälte und deutlicher wurde.
Es war ein dunkler viereckiger Gegenstand, der seinen Platz an einem ebenfalls dunklen Ort gefunden hatte, und den wir uns genauer anschauen mussten.
Ein alter Schrank. Sehr hoch. Mit einer Doppeltür versehen, von der nur die linke Seite geschlossen war. Die rechte war nur angelehnt.
Godwin zögerte keine Sekunde. So wie ich ging er davon aus, dass das Geräusch aus dem Schrank gekommen sein musste, und Godwin zerrte die Tür blitzschnell auf und wich sicherheitshalber zur Seite hin aus.
Ein Schrei wehte uns entgegen. Eine zuckende Bewegung, und dann stolperte jemand in meine Arme.
Es war eine junge Frau!
***
In diesen Momenten glaubte ich, dass uns das Leben wieder zurück hatte. Wir waren bisher mit den beiden Leichen konfrontiert worden, jetzt aber lagen die Dinge anders. Ich hielt eine Person in meinen Armen, deren Körper sich weich anfühlte, und ich merkte auch, wie sehr die junge Frau zitterte.
Ich ging zurück und zog sie tiefer in das große Zimmer hinein. Sie ging automatisch, weinte dabei, und als ich sie in einen der beiden alten Sessel drückte, da saß sie so, dass ihr Blick nicht auf die Betten mit den Leichen fiel.
Godwin hatte etwas zu trinken aufgetrieben. Er reichte der Frau das halb gefüllte Glas. Sie schaute gar nicht doch, setzte das Glas an und trank.
Es war nicht eben hell in dieser Umgebung, und das wollte ich ändern.
Strom gab es hier, und so erhellte sich eine Lampe unter einem alten Schirm. Das Licht erreichte die junge Frau, die wir jetzt besser sahen.
Von Alter her mochte sie knapp über zwanzig sein. Schwarze Haare hingen um ihren Kopf und klebten dabei zusammen. Das Gesicht war schon mehr als bleich, und auf die Haut sahen wir bläuliche Flecken.
Sie hielt den Kopf gesenkt. Sie zitterte. Ein Hemd, eine dünne Jacke aus Kunstleder, dicke Sneakers an den Füßen und billiger Modeschmuck, der um ihren Hals hing. Er klimperte gegeneinander, weil sie zitterte.
Mein Freund Godwin sprach sie an. »Bitte, Sie brauchen keine Angst mehr zu haben. Es ist vorbei, und Sie leben.«
Wir wussten nicht, ob sie uns gehört hatte. Aber sie nickte und hielt dabei die Augen geschlossen.
»Können Sie uns vielleicht einige Fragen beantworten?«
»Tot«, sagte sie. »Die beiden sind tot. Sie leben nicht mehr. Sie waren noch so jung.« Die Worte hätten auch von einem Automaten stammen können, so emotionslos waren sie gesprochen worden.
»Und wer sind Sie? Sagen Sie uns Ihren Namen.«
»Ich bin Claudine. Mehr weiß ich nicht.«
Es reichte uns. Und es war uns klar, dass diese Person unter Schock stand. Wir konnten eigentlich davon ausgehen, dass sie Zeugin bei der Ermordung der beiden Männer gewesen war. Nur war es ihr gelungen, sich zu verstecken. »Wollen Sie darüber reden?« Sie schüttelte den Kopf. Godwin gab nicht auf. »Es wäre sehr wichtig für uns. Nur so können wir den Fall lösen.«
Der Templer hatte die richtigen Worte gefunden, denn Claudine hob den Kopf und schluckte einige Male, bevor sie ihre Lippen bewegte.
»Wir haben hier gewohnt, wir waren glücklich, aber dann - dann…« Es fiel ihr schwer weiterzusprechen, aber sie versuchte es trotzdem. Sie flüsterte zwar nur, aber sie nahm kein Blatt vor den Mund und berichtete uns, dass sie und ihre beiden Mitbewohner den Friedhof geschändet hatten, um die Totenköpfe hervorzuholen.
Das war jetzt klar, aber wir wollten mehr wissen und erkundigten uns, warum sie das getan hatten. »Wir brauchten Geld.«
»Schön«, sagte ich.
»Wer gab Ihnen das?«
»Es lag hier.«
»Einfach so?« Ich konnte es kaum glauben.
»Ja, einfach so.«
Das akzeptierten wir und wollten wissen, wie es danach weitergegangen war.
Auch jetzt schaute Claudine keinen von uns an, als sie sprach. »Wir hatten hier zwei Kisten. In die haben wir die Schädel hineingepackt.«
»Und brachten sie auch weg?«
»Ja, aber nur bis zur alten Kirche, die nicht mehr benutzt wird. Von dort hat sie jemand anderer weggebracht. Es war Alain Roi. Er hat einen Wagen. Wer ihn beauftragt hat, weiß ich nicht. Vielleicht derselbe, der uns das Geld hingelegt hat. Aber er wusste wohl nicht, was in den Kisten war. Er hat sie aufgeladen, dann ist er damit verschwunden. Ob er uns gesehen hat, weiß ich nicht.«
Godwin und ich schauten uns an. Das war eine Geschichte, die wir akzeptieren konnten.
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