1545 - Vampirtränen
und verlor. Dem zweiten Hieb konnte sie ebenfalls nicht ausweichen. Er traf ihren Nacken. Die Wucht schleuderte sie endgültig zu Boden. Sie verlor das Bewusstsein und sah nicht den gierigen Blick in den beiden Augen, die auf sie nieder schauten.
Clara hatte gewonnen!
***
»Haben Sie ein gutes Gefühl, Mr Sinclair?«
»Wie meinen Sie das?«
Donald Hurley stieg mit einem langen Schritt über ein Grab hinweg.
»Dass Sie Ihre Partnerin allein haben gehen lassen.«
»Da fragen Sie mich was.«
»Also kein gutes.«
»Das könnte man so sagen.«
»Hätte ich auch nicht.«
»Auf der anderen Seite ist Jane Collins eine Frau, die sich zu wehren weiß. Das ist nicht nur einfach so dahingesagt, glauben Sie mir. Ich kenne sie lange genug.«
»Aber zufrieden sind Sie nicht, oder?«
»Nein, das kann ich auch nicht sein. Es ist nicht alles so gelaufen, wie ich es mir gewünscht hätte. Ändern kann ich es nicht, und bisher ist zum Glück noch nichts passiert.«
»Hoffentlich bleibt es dabei.«
Ich war froh, Donald Hurley an meiner Seite zu haben. Wäre ich allein gewesen, dann wäre ich wieder den normalen Weg gegangen, den ich schon kannte.
Mit dem ehemaligen Kollegen als Begleiter war das etwas anderes. Er wohnte hier in Stoneway. Er kannte nicht nur die Wege im Ort, er wusste auch hier Bescheid, und so hatte er mich über eine andere Strecke geführt. Trotz der schlechten Sicht hatten wir die schmalen Wege gefunden, die zwischen Büschen und Gräbern herführten und für mich zu einem Labyrinth geworden wären.
So aber näherten wir uns der Mauer, und es passierte auch nichts. Ich hielt mich dicht hinter Hurley. Von seinem Körper sah ich nur einen schwachen Umriss.
Neben einem steinernen Wasserbecken, das jetzt zu einem Eisbecken geworden war, hielt er an. Er drehte mir sein Gesicht zu. Über seinen Kopf hatte er eine Strickmütze gestreift.
»Sind wir da?«
»Fast.«
»Gut.«
»Und was ist mit Ihrer Kollegin?«
»Sie müsste eigentlich gleich erscheinen. Oder schon hier sein, denke ich mir.«
»Wollen Sie nach ihr rufen?«
Ich hatte tatsächlich mit dem Gedanken gespielt und auch daran, sie über Handy anzurufen. Aber das hatte ich dann doch sein lassen. Ich wollte nichts tun, was verräterisch hätte sein können. Eine Blutsaugerin hatte Ohren wie ein Luchs.
Bis zur Mauer waren es nur noch wenige Schritte. Damit hatten wir allerdings noch nicht den Ort erreicht, an dem das Grab der Vampirin Galina lag.
Die Nebelschwaden rollten uns weiterhin lautlos entgegen, und meine Angst um Jane Collins wuchs immer mehr an. Wer sagte uns denn, dass die Blutsaugerin am Grab ihrer Ziehmutter wartete und nicht schon woanders Jane Collins abgefangen hatte?
Verstecke gab es genug, und ich war mir nicht mehr so sicher, alles richtig gemacht zu haben, denn Menschen machen Fehler, und auch ich war nur ein Mensch…
***
Jane hatte die Augen geöffnet. Ihre Gedanken waren ebenfalls vorhanden, trotz der Schmerzen in ihrem Kopf, denn da war sie verdammt heftig getroffen worden.
Sie lag auf dem kalten Boden. Am Hinterkopf spürte sie den harten Druck, und ihr kam in den Sinn, dass man sie auf ein Grab gelegt hatte und sie mit dem Kopf gegen den Stein drückte.
Jane hielt die Augen offen. Ihre Sicht war nicht besonders gut, was nicht allein am Nebel lag, sondern auch an ihren feucht gewordenen Augen.
Über ihr kniete Clara.
Die Vampirin hatte sich weit nach vorn gebeugt, damit Jane sie auch erkennen konnte.
Jane schaute direkt in dieses blassgrüne Gesicht mit den großen Augen, in deren Winkeln sich dunkle Tränen gesammelt hatten. Einige von ihnen waren an den Wangen entlang nach unten gelaufen. Ob dieses Weinen unbedingt etwas mit einer Trauer zu tun hatte, daran wollte Jane nicht glauben. Es konnte auch sein, dass Clara ihr zeigte, wozu sie noch in der Lage war, und nur wer fremdes Blut in sich hatte, konnte diese Tränen vergießen.
»Du bist mir einmal entkommen!«, flüsterte Clara. »Ich habe dein Blut riechen können und bin davon fasziniert gewesen. Ein zweites Mal entwischst du mir nicht mehr. Jetzt werde ich dich aussaugen. Du wirst mir den Genuss vor dem Beginn meiner Rache verschaffen, und darauf freue ich mich besonders.«
Jane wusste nicht, ob die Unperson eine Antwort erwartete. Sie gab sie trotzdem, denn sie wollte auch Zeit herausschinden. Trotz ihrer Behinderung würde sie es Clara nicht leicht machen.
»Du wirst es nicht schaffen!«
»Doch, Jane Collins. Hättest du mich nicht davon abgehalten,
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