155 - Briana - Tochter Irlands - Langan, Ruth
können. Keane hatte für den zweiten Teil ihrer Reise einen Fahrer genommen, damit sein alter Weggefährte die wohlverdiente Ruhepause bekam.
Neben Vinson saß Keane und hielt seine Tochter im Arm. Seit er wieder mit ihr vereint war, hatte er sie kaum eine Sekunde lang aus den Augen gelassen. Jetzt streckte er eine Hand nach Briana aus. „Wir müssen miteinander reden.“
„Ja, ja, das werden wir, und zwar bald. Versprochen.“ Sie lächelte und schaute dann wieder aus dem Fenster, wo ihr die Landschaft mit jeder Meile, die sie zurücklegten, bekannter und vertrauter wurde.
Die Nacht hatte ihre Reisegesellschaft in einem kleinen Gasthof verbracht. Dort hatte es keine Gelegenheit für Briana und Keane gegeben, alleine zu sein. Briana hatte sich mit Mistress Malloy einen Raum geteilt, in dem auch Alana hatte schlafen können; Keane schlief in dem angrenzenden Zimmer, zusammen mit seinem Butler.
Am Morgen hatten sie alle gemeinsam ein bescheidenes Frühstück eingenommen. Briana hatte die Hitze gespürt, die von Keane ausging. Sie teilte seine Sehnsucht und sein Begehren, aber noch gab es keine Möglichkeit für sie beide, einander endlich wieder ihre Liebe zu zeigen.
Doch beide wussten, dass sie bald ihr Ziel erreicht haben würden. Dann konnten sie endlich die Vergangenheit hinter sich lassen und befreit an die Zukunft denken und diese planen. Diese Zukunft sah plötzlich sehr viel heller und viel versprechender aus als noch vor wenigen Wochen. Und mit jeder Meile winkte ihnen ihre Zukunft freundlicher zu.
„Sieh nur, dort.“ Keane folgte ihrer Aufforderung und sah ebenfalls aus dem Fenster. „Das ist Croagh Patrick“, erzählte Briana. „Unsere Leute leben schon seit hunderten von Jahren in seinem Schatten. Und der Pass, durch den wir gleich fahren werden, ist noch älter. Als ich ein kleines Mädchen war, habe ich geglaubt, ein Riese wäre gekommen und hätte den Berg mittendurch geschnitten.“
„Du warst wohl ein fantasievolles Mädchen?“, vermutete Keane.
„Ja, aber das ist normal in Ballinarin“, gab Briana zurück und deutete auf den Wasserfall, der sich von dem höchsten Punkt des Berges hunderte Fuß tief in den unten fließenden Fluss ergoss. „Ballinarin ist ein ganz besonderer Ort, einsam und wild. Manchmal grausam und doch so wunderschön. Sogar die Wolken hier sind anders als anderswo.“
Keane sah Briana staunend an. Noch nie hatte er ihre Stimme so weich und verträumt klingen gehört. Geradezu andächtig schilderte sie ihm die Schönheiten ihrer Heimat, wies ihn im Vorbeifahren auf besonders atemberaubende Ausblicke und Ansichten hin.
„Du bist zu Hause, Briana“, meinte er liebevoll.
„Ja, endlich!“ Sie musste mehrmals tief durchatmen, um die Tränen zurückzudrängen.
Jetzt rollte der Wagen durch das Dorf. Eine Frau, die ihre Gänse hütete, schaute neugierig auf die Reisenden in der Kutsche. Sie starrte ungläubig auf Brianas rötlichen Schopf und rief plötzlich ganz aufgeregt: „Leute, schaut nur, es ist Briana O’Neil!“
Ein Ehepaar, das in seinem Garten arbeitete, wurde von den Rufen aufgeschreckt und hielt ebenfalls Ausschau nach dem Grund für die Aufregung. Sie und weitere Menschen, die draußen ihren Angelegenheiten nachgingen, bildeten bald einen Chor, dessen Ruf weit über die Felder schallte: „Unsere Lady Briana ist wieder da!“
Eine Gruppe junger Burschen hörte die Stimmen ebenfalls, und einer von ihnen sprang unverzüglich auf ein Pony, griff nach den lose herabhängenden Zügeln und verkündete: „Ich muss auf der Stelle nach Ballinarin reiten und ihnen die Kunde bringen.“
„Mir scheint, dass unsere Ankunft für die Menschen auf Ballinarin keine Überraschung mehr sein wird“, bemerkte Keane lächelnd.
„Nein, bestimmt nicht“, bestätigte Briana. „In unserer kleinen Welt hier hat man fast keine Geheimnisse voreinander.“
Keane bemerkte ihre innere Anspannung. Sie knetete die Hände, verschränkte sie, zog an einzelnen Fingern. Und als das aus grauen Steinen errichtete Haupthaus von Ballinarin hinter einer Wegbiegung hoch oben vor ihnen auftauchte, füllten sich Brianas Augen mit Tränen. Sie machte sich nicht einmal die Mühe, sich diese abzuwischen.
Nun wurden oben an allen Ecken und Enden Türen aufgerissen, Menschen drängten nach draußen, redeten und lachten durcheinander. Als die Kutsche mit Briana und Keane darin in dem großen Hof anhielt, war jeder, der auf Ballinarin lebte und arbeitete, anwesend.
Auf der höchsten
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