155 - Briana - Tochter Irlands - Langan, Ruth
verstehen, dass ich all diese feinen Kleider nicht brauche. Ich habe so lange nur die Kutten aus grobem Leinen getragen, die ich im Kloster bekam, dass Samt und Seide für mich bedeutungslos geworden sind.“
„Aber es bereitet uns große Freude, Euch zu Diensten sein zu können“, gab Cora zurück. Sie reichte Briana einen Arm, sodass diese sich darauf stützen konnte, als sie zu dem Waschtisch ging.
Während Briana ihre Morgentoilette machte, legte Cora ein Leibchen, ein weites, gestärktes Unterkleid sowie ein Paar zierlicher Kalbslederstiefel bereit. „Diese Sachen haben wir in einer der Truhen auf dem Dachboden gefunden“, erklärte sie. „Wir dachten, sie könnten Euch passen.“
„Wie lieb von euch“, erwiderte Briana. „Aber warum so viel Aufhebens um meine Garderobe?“
„Lord Alcott wünscht, dass Ihr das Frühstück mit ihm gemeinsam einnehmt.“
„Oh!“ Briana war jäh von tiefer Freude erfüllt. Obwohl sie fast nichts über ihren Gastgeber wusste, hatte sie seine Gesellschaft am Vorabend doch sehr genossen. Und wenn sie an seinen Kuss dachte, wurde ihr eigentümlich warm.
„Er hielt sich gestern mit Erzählungen über sich selbst oder seine Familie auffallend zurück. Aber ich habe keine Ahnung, was der Grund dafür sein könnte“, sagte Briana halblaut, doch Cora hatte jedes Wort gehört.
„Es wird gemunkelt, dass er in seinem Leben viel Leid ertragen musste. Er ist erst vor Kurzem aus England zurückgekehrt, aber niemand weiß, ob er in Irland bleiben wird. Lord Alcott spricht mit niemandem über seine Pläne, aber es werden bereits Wetten unter den Bediensteten darauf abgeschlossen, dass er schon bald des Lebens als Landadeliger in diesem armen Land überdrüssig sein wird.“
Briana schlug verschreckt eine Hand vor den Mund. „Es wäre eine Sünde, einem so wunderschönen Fleckchen Erde den Rücken zuzukehren.“
„Ja, gewiss, Mylady. Aber das tun die adeligen Herrschaften eigentlich schon immer.“
Cora half Briana jetzt beim Ankleiden. Dabei plapperte sie unaufhörlich weiter. „Die Leute gehen davon aus, dass unser Herr schon bald Carrick House verlassen und sich in irgendeinem exotischen Land niederlassen wird, wo er nie und nimmer an seine Vergangenheit erinnert wird.“
„Was ist mit seiner Vergangenheit?“, wollte Briana ein wenig atemlos wissen.
„Ach, Gerüchte besagen, dass er ein liederliches, ausschweifendes Leben geführt hat. Aber damit tut er in Wirklichkeit nur das, was er als Kind mit angesehen hat.“
„Was war das?“
„Mir wurde erzählt“, antwortete das Dienstmädchen, „dass damals kurz hintereinander sowohl seine Mutter als auch sein Großvater starben. Sein Vater hatte angeblich überhaupt keine Zeit für den kleinen Lord Alcott. Er wurde auf verschiedene Schulen, alle weit entfernt von hier, geschickt, damit sein Vater verschwenderisch die Freuden des Daseins genießen konnte.“
„Aber das kann doch nicht der alleinige Grund dafür sein, dass Lord Alcott so unglücklich ist“, wandte Briana ein.
Cora zuckte die Schultern. Ich weiß nur noch, dass sein Vater irgendwann nach England ging und unter den dortigen Adeligen und deren Herzensdamen ein ziemlich lotterhaftes Leben führte. Mistress Malloy meint, er zählt einfach zu den Menschen, die nirgendwo auf Gottes Erdboden glücklich sein können.“
Cora hatte während des Erzählens Brianas kurze Haare gebürstet, bis sie sich wie ein kupferfarben leuchtender Helm um den Kopf schmiegten. Jetzt trat sie einen Schritt zurück und betrachtete zufrieden das Ergebnis ihrer Bemühungen. „Ihr seht wunderbar aus, Miss Briana“, erklärte sie voller Überzeugung. „Ich werde Vinson holen, damit er Euch in den Speisesaal geleitet.“
Als Briana allein war, stellte sie sich ans Fenster und sah in die Landschaft hinaus, die viel sanfter und gleichmäßiger zu sein schien als die Umgebung von Ballinarin. Keane O’Mara hatte ein wunderschönes Erbe angetreten. Es wäre wirklich sehr traurig, wenn er diesem Besitz den Rücken zukehren würde.
Briana kamen ihre eigenen Enttäuschungen und Probleme klein vor im Vergleich zu dem, was Keane O’Mara hatte erdulden müssen. Schon der Verlust von Mutter und Großvater waren zweifellos niederschmetternd gewesen. Doch zu allem Überfluss hatte er auch noch die Liebe seines Vaters verloren und war praktisch aus seinem Elternhaus vertrieben worden.
„Was hast du getan?“ Mistress Malloy schaute Cora sehr zornig und verständnislos an. „Du hast
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