155 - Briana - Tochter Irlands - Langan, Ruth
Schlüsse zu ziehen. Sie verwirrte und erstaunte ihn.
„Wenn Ihr erstmals über einen Besitz reitet, den Ihr gerade erst erworben oder bekommen habt, Briana, was würdet Ihr dann tun?“
Sie fand die Frage seltsam, antwortete aber trotzdem bereitwillig darauf. „Ich würde mit jedem Menschen plaudern, der mir begegnet. Ich würde sie fragen, wie eine Herde Rinder oder Schafe noch besser gehalten werden und wie man den Boden verbessern könnte. Ich würde die Mütter fragen, was ihre Kinder am nötigsten brauchen, und ich würde mich bei den Dorfältesten erkundigen, wie das Schicksal aller leichter gestaltet werden könnte.“
„Und wann würdet Ihr ihnen sagen, was Ihr von ihnen erwartet?“
Briana lächelte. „Das würde ich nie und nimmer tun.“
„Nie und nimmer?“, wiederholte Keane verständnislos. „Warum nicht?“
„Ich würde ihnen sagen, dass ich als Ihr Herr nur das Beste für sie will.“
„Wieso?“
„Jede noch so unbedeutend erscheinende Kleinigkeit, mit denen ihr Los verbessert wird, trägt zu einer Verbesserung meiner Lebensqualität bei. Schließlich lebt doch der Herr über den Besitz von dem, was die Leute für ihn erwirtschaften. Da ist es doch nur sinnvoll, die Menschen so gut wie möglich zu behandeln. Nur dann werden sie einen Sinn darin erkennen, für ihren Herrn Schweiß bei harter Arbeit zu vergießen.“
Keane war für einige Augenblicke wie vor den Kopf geschlagen. Dann stand er plötzlich auf und fing an, in der Bibliothek hin und her zu gehen. Das also hatte er von Anfang an falsch gemacht! Wieso war er so blind gewesen, das nicht zu erkennen?
Er hatte sich von der ersten bis zur letzten Sekunde seiner Reise wie ein hochnäsiger Herr, der alles schon wusste, aufgespielt. Statt Fragen zu stellen, hatte er Befehle erteilt. Statt aufmerksam zuzuhören, hatte er ungefragt seine Meinung zum Besten gegeben. Und statt bereitwillig von denen zu lernen, die den Boden und die Herden besser kannten als er, hatte er ihnen Vorträge gehalten. Es war also kein Wunder, dass sie ihn alle ablehnten. Es war nicht nur seine Herkunft, die ihm das Leben so schwer machte, sondern viel mehr bereitete ihm sein Verhalten so große Schwierigkeiten im Umgang mit den Menschen, die für ihn arbeiteten.
Wann hatte er wenigstens ein bisschen Unterstützung von ihnen erfahren? Als er die Dorfältesten für den Zustand der Felder gelobt hatte. Er hatte ihnen lediglich so etwas wie ein Almosen an Freundlichkeit zugeworfen, und sie hatten es ihm zehnfach vergolten mit ihrer Hilfsbereitschaft.
Noch während er über diese Zusammenhänge nachgrübelte, begann Keane zu lächeln. Ja, das Mädchen hatte recht! Und er hatte sie richtig eingeschätzt. Sie verfügte über eine erstaunliche Einsicht in die Dinge des Lebens und das Verhalten von Menschen.
Während er seinen Gedanken nachhing und dabei unablässig im Raum umherspazierte, ließ Briana ihn vollkommen in Ruhe. Sie wollte ihm Gelegenheit geben, selbst herauszufinden, was ihn so sehr quälte.
Plötzlich erklang ein lautes, energisches Klopfen an der Tür, die fast im gleichen Moment vehement aufgestoßen wurde. Vinson kam herein. Er brachte ein Tablett mit einer vollen Weinkaraffe. Er schaute sich so unauffällig wie möglich um und schien erleichtert aufzuatmen, als er seinen Herrn in deutlicher Entfernung zu Briana entdeckte.
„Ihr hattet mehr Wein verlangt, Mylord.“
„Danke vielmals, Vinson.“ Etwas zerstreut und unkonzentriert bedeutete Keane dem Butler, das Tablett auf dem Tisch abzustellen. „Du kannst uns gleich nachschenken, Vinson.“ Dann drehte er sich zu Briana um. „Ich habe über unserem Gespräch völlig das Essen vergessen. Kommt, wir wollen uns zu Tisch begeben, bevor alle Speisen kalt und ungenießbar sind.“
Er nahm ihre Hand und führte sie zum Tisch, wo er einen Stuhl für sie zurechtrückte.
„Sollte ich vielleicht hierbleiben und die Herrschaften bedienen?“, schlug Vinson vor.
Keane warf ihm einen misstrauischen Blick zu. „Ja, von mir aus. Vielleicht ist das sogar eine gute Idee.“ Er nahm ebenfalls Platz und hob sein Glas. „Ich denke, es ist angebracht, einen Toast auszusprechen.“
Briana nahm ihr Glas in die Hand. „Worauf trinken wir?“, erkundigte sie sich.
„Auf die Perlen der Weisheit, Mylady.“
„Das verstehe ich nicht.“
„Oh doch, meine Liebe. Ihr versteht sehr gut, was ich meine. Ihr scheint Dinge besser zu verstehen als jeder andere Mensch, den ich je getroffen habe. Und wenn Ihr
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