155 - Kriminalfall Kaprun
gestellt hat, aber ihre Freude darüber lässt sie die Schmähungen der letzten Tage beinahe vergessen.
Kapitel 39
Eva Danninger-Soriat sitzt in ihrem Büro im Salzburger Landesgericht, als das Telefon läutet. »Hallo Eva, hoffentlich störe ich nicht?«, sagt jener gut informierte Vertraute, der ihr die Geschichte von Seiss und Kirch Media erzählt hatte. »Ich habe eine interessante Nachricht für dich.«
»Du störst nie. Was gibt’s?«
»Die Verteidiger im Kaprun-Prozess dürften etwas übersehen haben. Durch die Anzeige der Gletscherbahnen gegen die deutsche Firma Fakir geht das gesamte Kaprun-Verfahren mit allen Aktenund Beweismitteln nach Heilbronn. Österreich gibt das Verfahren komplett ab. Jetzt ermittelt Deutschland. Unsere Gutachter werden darüber nicht erfreut sein. Eine neue Untersuchung inklusive einer neuen Beweiswürdigung könnte auf das österreichische Urteil ein furchtbares Licht werfen.«
»Sie hätten sich mit dieser fragwürdigen Beweislage ganz leise verhalten und die Sektkorken heimlich knallen lassen sollen«, sagt Danninger-Soriat.
»Stattdessen erstatten die Gletscherbahnen gegen Fakir Anzeige wegen fahrlässiger Tötung in 155 Fällen. Alles, was sie in 21 Monaten und 60 Prozesstagen erreicht haben, setzen sie damit aufs Spiel.«
»Wie ihnen dieses Missgeschick unterlaufen konnte, ist mir schleierhaft. Ich danke dir jedenfalls für den Anruf. Warten wir ab, was passiert.«
Am 19. Oktober 2005 geht das Rechtshilfeersuchen der Staatsanwaltschaft Salzburg nach Heilbronn, um zwei beschuldigte Mitarbeiter der Firma Fakir zu vernehmen. Am 23. November ersucht Salzburg die Baden-Württembergische Staatsanwaltschaft um Übernahme der Strafverfolgung der Fakir-Mitarbeiter wegen Verdachts der fahrlässigen Herbeiführung einer Feuersbrunst und der fahrlässigen Tötung von 155 Menschen. Somit verlegt Österreich den »primären Tatort« der Brandkatastrophe von Kaprun nach Deutschland, in das Fachwerkstädtchen Vaihingen an der Enz.
Die Heilbronner Staatsanwälte nehmen das Salzburger Ersuchen sehr ernst und handeln entschlossen. Das Amtsgericht Vaihingen ordnet eine groß angelegte Hausdurchsuchung bei Fakir an, die die Staatsanwaltschaft und die Landespolizeidirektion Stuttgart durchführen. Sie dehnen das Ermittlungsverfahren auf insgesamt fünf Beschuldigte aus, darunter der Eigentümer von Fakir und die Geschäftsführung des Unternehmens, das für den Heizlüfter das Kunststoffgehäuse geliefert hatte.
Zuerst stellen die Ermittler fest, dass Fakir wegen der Rufschädigung durch das Kaprun-Verfahren weltweit enorme Verluste zuverkraften hatte, die den Eigentümer zum Verkauf des Unternehmens zwangen. Doch so sehr die Mitarbeiter der Landespolizei und der Staatsanwaltschaft die beschlagnahmten Akten, die Hausmitteilungen und die Schreiben zwischen Fakir und den Lieferfirmen auch durchsuchen, nirgends gibt es einen Hinweis auf Konstruktions- und Produktionsmängel beim Heizlüfter Hobby TLB . Dafür finden sie einen ausführlichen und gut dokumentierten Schriftverkehr mit Lieferanten und Prüforganen, sowie Genehmigungen und fachliche Stellungnahmen von »VDE« und »GS«, dem Deutschen Kunststoff-Institut und unterschiedlichsten Sachverständigen.
Als Nächstes fahren ein Heilbronner Oberstaatsanwalt und ein Kriminalhauptkommissar der Landespolizeidirektion Stuttgart nach Salzburg. Sie arbeiten hochkonzentriert in der Zeit vom 7. bis zum 9. März 2006 die Gerichtsakten durch und lassen Kopien der für sie notwendig erscheinenden Akten anfertigen. Nach dem Aktenstudium fordern sie die Beweismittel aus der Asservatenkammer des Salzburger Landesgerichts an, die sie ihnen am neunten März übergeben.
Dem Stuttgarter Gutachter Keim ist es zu verdanken, dass die Beweismittel überhaupt noch zur Verfügung stehen. Im Jänner des Jahres kam es zur Besichtigung des »Gletscherdrachen« und aller noch existierenden Beweismittel in einer alten Panzerhalle der Struberkaserne in Salzburg. Die nun nicht mehr benötigten Gegenstände sollten den Eigentümern ausgehändigt werden. Richter Manfred Seiss hatte zu dem Termin alle Prozessbeteiligten geladen. Als Vertreter der Firma Fakir war auch Hans-Joachim Keim dabei. Gleich zu Beginn stellte sich heraus, dass alle Materialien, aus denen der Holzverbau im Zug gebaut worden war, nicht mehr auffindbar waren. Die Bretter und Faserplatten waren verschwunden. Staatsanwältin Danninger-Soriat veranlasste, dass das Fehlen der Beweismittel ins
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