155 - Kriminalfall Kaprun
für das Berufungsverfahren fünf Verhandlungstage angesetzt, und er rechnet mit einem großen Andrang von Opferangehörigen. Deshalb findet der Prozess im Großen Saal der Arbeiterkammer Linz statt, in dem 300 Personen Platz haben. Doch nach dem Ersturteil ist das Vertrauen der Angehörigen in die Justiz offenbar erloschen. Es kommen einige japanische Eltern und nur sehr wenige Hinterbliebene aus Europa. Mehr als 200 Plätze bleiben leer.
Als Staatsanwältin Danninger-Soriat den Saal betritt, schlägt ihr deutliche Abneigung entgegen. Der vorsitzende Richter begrüßt eine junge Rechtspraktikantin höflich, Eva Danninger-Soriat übersieht er scheinbar. Die Verteidiger wenden sich ab und die Angeklagten ignorieren sie. Zu ihrer Überraschung nehmen jedoch ihre Linzer Vorgesetzten, die Leiterin der Oberstaatsanwaltschaft und ihr Stellvertreter, an der Sitzung teil, obwohl es während der gesamten Vorbereitungszeit keine persönliche Begegnung gegeben hat. Die Begrüßung ist kühl. Ins Prozessgeschehen greifen die beiden dann nicht aktiv ein, obwohl das Berufungsverfahren in ihren Zuständigkeitsbereich fällt.
Der Vorsitzende Richter kommt schnell zur Sache. Die Staatsanwältin begründet ihre Berufung, weist auf aus ihrer Sicht grobe Fahrlässigkeit der Angeklagten, auf Fehler in den Gutachten, die sie entdeckt zu haben glaubt, und auf, ihrer Meinung nach, falsche Schlussfolgerungen des Richters Seiss hin. Sie beantragt, das Keim-Gutachten über den Fakir-Heizlüfter in das Beweisverfahren aufzunehmen, was die Verteidigung sofort ablehnt. Es sei ein Privatgutachten,argumentiert sie. Ohne weitere Erörterung verschwindet das Gutachten in der Gerichtsakte. Damit hat die Verteidigung den Vorstoß aus Deutschland problemlos abgewehrt. Auch mit zwei weiteren Beweisanträgen kommt Danninger-Soriat nicht durch. Der Senat unterlässt eine Beweiswiederholung. Er hat offenbar keine einzige Frage, die er aufklärungsbedürftig findet.
Noch am gleichen Tag ist die Beweisaufnahme ohne Erörterung und Nachfrage abgeschlossen und um 14 Uhr bestätigt der Berufungssenat das Urteil aus Salzburg. Es sei schlüssig begründet, und die Nichtigkeitsbeschwerde durch die Staatsanwaltschaft Salzburg für das Oberlandesgericht Linz nicht nachvollziehbar. »Die Feststellungen des Erstrichters sind nicht mangelhaft und die Stellungnahmen der Gutachter für den Senat schlüssig«, so der Richter. Er bestätigt das Urteil und alle Freisprüche von 2004.
Dann widmet er sich Staatsanwältin Danninger-Soriat, die er öffentlich hart kritisiert. Ihre Berufung sei nicht gesetzeskonform ausgeführt und die von ihr angeführten Mängel seien nicht begründet, sagt er. Auch habe sie Beweisanträge verspätet eingebracht. Der Berufungssenat lässt deutlich erkennen, dass die Staatsanwältin aus seiner Sicht schlecht gearbeitet hat, die gesetzlichen Vorgaben nicht eingehalten und nicht einmal die Fristen gewahrt hat.
Eine Einschätzung, die das Justizministerium und die Oberstaatsanwaltschaft, denen die Berufung vor ihrer Einbringung zur Kontrolle vorgelegen war, nicht geteilt haben. Es ist legitim, Beweisanträge bis zum Schluss einer Berufungsverhandlung ohne Bindung an Fristen zu stellen. Die, ihrer Meinung nach, unrichtigen Schlussfolgerungen des Erstgerichtes hat die Staatsanwältin aus ihrer Sicht sehr wohl nachvollziehbar und ausreichend begründet.
Trotzdem können die Beschuldigten aufatmen, ihre Unschuld ist nun rechtskräftig, eine weitere Instanz gibt es nicht. Zeigten sie bei den Freisprüchen in Salzburg ihre Freude noch verhalten, so sind sie nun in Feierlaune. Sie sind frei, sie haben alles richtig gemacht, kein Vorwurf bleibt an ihnen hängen.
Die wenigen Angehörigen der Kaprun-Opfer quittieren das Urteil wieder mit lauten »Buh«-Rufen. Die japanischen Prozessteilnehmer verlassen empört das Gericht, und ein Vater eines in Kaprun ums Leben gekommen Mädchens schlägt dabei so heftig und laut die Saaltür zu, dass die Anwesenden zusammenzucken. Diese Geste ist für die stets diszipliniert auftretenden Japaner ein Zeichen ungeheurer Verachtung. Die Sprecherin der deutschen Hinterbliebenen, Ursula Geiger aus Übersee am Chiemsee, die in Kaprun ihren 14-jährigen Sohn verloren hat, sagt vor Journalisten: »Es ist ein Hohn, dass Österreich sich nicht für den Tod von 155 Menschen verantwortlich fühlt.«
Österreichische Eltern von Opfern bezeichnen beide Kaprun-Prozesse als Farce. Helmut Bieber aus Wels hat in der Gletscherbahn
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