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155 - Kriminalfall Kaprun

155 - Kriminalfall Kaprun

Titel: 155 - Kriminalfall Kaprun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uhl Hannes
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sein einziges Kind verloren und noch am Vortag voller Hoffnung gesagt: »Es wäre eine Schande, feststellen zu müssen, dass niemand Schuld hat.« Nach dem erneuten Freispruch hat er jeglichen Glauben an die österreichische Gerichtsbarkeit verloren.
    Gegenüber der Presse macht der vorsitzende Richter des Oberlandesgerichtes aus seiner Haltung kein Hehl und stellt die von der Staatsanwältin betriebene Berufung als in jeder Hinsicht unbegründet dar, während er das Ersturteil des Richters Seiss als klar und schlüssig bezeichnet. Ohne jegliche Zurückhaltung kritisiert er Eva Danninger-Soriat und erklärt gegenüber der österreichischen Presseagentur APA: »Es ist nicht hinnehmbar, dass derartige Beweisanträge erst jetzt eingebracht worden sind, obwohl die Staatsanwaltschaft ein Jahr Zeit dazu hatte.«
    Während Eva Danninger-Soriat nach dem Prozess das Gericht verlässt, gehen die Pressemeldungen über den erneuten Freispruch um die Welt. Zuerst in Rundfunk und Fernsehen, danach in den Printmedien. In jedem Bericht wird die APA-Meldung zitiert. Nicht nur Zeitungen übernehmen die harten Äußerungen des Senatsvorsitzenden über die Staatsanwältin, auch im Internet werden viele Schmähungen geschrieben. Einige halten die Staatsanwältinlediglich für unfähig und ihre Vorbereitung für ungenügend, andere sehen sie als Teil eines korrupten Justizsystems, das mit den bewusst verspätet eingebrachten Anträgen die Wahrheitsfindung blockieren will. Nicht nur das Medienecho ist vernichtend, auch ihr Ruf als verlässlich arbeitende Staatsanwältin wird beschädigt. Dabei ist sie sich keines Verstoßes gegen die Strafprozessordnung bewusst.
    Während Danninger-Soriat im Auto sitzt, will ein Satz nicht aus ihrem Kopf: »Im Namen der Republik!« Tausendmal hat sie diese Formel bei Urteilen gehört und sich nie darüber Gedanken gemacht, jetzt fragt sie sich, im Namen welcher Republik der Richter das Kaprun-Urteil und alle Freisprüche eigentlich bestätigt hat.
    Als Staatsanwältin hat Eva Danninger-Soriat schon viel erlebt. Immer hat sie sich darauf konzentriert, als Anklägerin möglichst sachbezogen zu arbeiten und persönliche Empfindungen zurückzustellen, wo immer es möglich ist. Schließlich ist sie zur Objektivität verpflichtet. Doch Kaprun ist anders. Sie ist die Einzige, die vom 11. November 2000 an die Auswirkungen der Katastrophe miterlebt hat, kein anderer Jurist, kein Polizist, kein Ermittler und kein Gutachter hat sich so intensiv mit Kaprun befassen müssen wie sie. Die Bilder der verzweifelten Eltern und Angehörigen kann sie nicht vergessen. Auch die Toten und die Hinterbliebenen gehören zur Republik oder waren Gäste dieser Republik. Hat der vorsitzende Richter auch in ihrem Namen gesprochen, als er das Salzburger Urteil bestätigte und es im Schnelldurchlauf ohne Beweiswiederholung durchzog?
    Langsam beruhigt sie sich. Der persönliche und aggressive Angriff eines Berufungsrichters gegen eine Berufungswerberin erscheint ihr als einmalig in der österreichischen Rechtsgeschichte. Sie fährt zurück nach Salzburg. In der Nacht schläft sie wenig, vieles geht ihr durch den Kopf. Das Kaprun-Urteil wurde auch in zweiter Instanz bestätigt, es ist nun rechtskräftig. Damit ist für sie die juristische Seite der Katastrophe von Kaprun beendet, denn an ein Wiederaufnahmeverfahren glaubt sie nicht mehr.
    Am nächsten Tag geht sie wieder in die Staatsanwaltschaft Salzburg. Auf vielen Titelseiten und in zahlreichen Berichten kann sie die negativen Äußerungen lesen, die der vorsitzende Richter des Berufungssenates über sie verbreiten ließ. Der Weg von ihrem Parkplatz bis zum Amtszimmer ist ein Spießrutenlauf, jeder weiß Bescheid, und jeder hat gelesen, dass ihre Berufung abgeschmettert wurde. Ihr Telefon bleibt seltsam ruhig. Nur ein Anruf verwundert sie. Er kommt aus Linz von einem Richter und ist für einen Juristen ungewöhnlich: »Wie Sie der vorsitzende Richter gestern vor der ganzen Welt zur Sau gemacht hat, das ist ja furchtbar, das ist ja schrecklich«, sagt er.
    Bevor sie zur Mittagspause geht, fällt ihr Blick auf das Gutachten des Schwaben Hans-Joachim Keim, das aus einem Aktenstapel ragt. Er war so sicher, als er bei mir war, denkt sie. Wenn die Wahrheit doch noch siegen soll, kann das nur aus Deutschland kommen.
    Als sie nach einer guten Stunde aus der Stadt zurückkommt, steht ein großer Blumenstrauß auf ihrem Schreibtisch. Bis heute weiß Eva Danninger-Soriat nicht, wer ihn dorthin

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