156 - Die Rache der Schattenfrau
unter den Sterblichen. Und er wußte etwas, das Luguri um jeden Preis erfahren wollte. Beatha hatte keine Ahnung, was es war. Sie hatte nur den einen Wunsch, den Tod ihres Vaters, von dessen Existenz sie erst so kurz wußte, zu rächen. Der Hermaphrodit und der Dämonenkiller sollten sterben. Und auch die abtrünnige Hexe Coco Zamis, die zur Gefährtin des Dämonenkillers geworden war.
Beatha sah, daß Zakum sie in das achteckige Verlies unter dem Haus Ludwig Wolfs gebracht hatte. Die schwarzen Kerzen vor dem Altar mit dem verhängten Triptychon der Dämonendrillinge waren fast heruntergebrannt.
Der mittelgroße Dämon mit der grauen, verrunzelten Haut und den dünnen Armen und Beinen ließ sie los. Die roten Augen in seiner Teufelsfratze glühten vor Zorn, daß es dem Dämonenkiller gelungen war, sich aus der magischen Falle zu befreien.
„Ruf deine Jüngerinnen zusammen, Beatha", stieß er heiser hervor. „Jetzt, da Thoragis tot ist, mußt du den Dämonenkiller in eine Falle locken. Deine Jüngerinnen werden dir dabei helfen. Opfere eine von ihnen der Schattenfrau, dann wird Hunter auf der Suche nach dem Mörder in dieses Haus eindringen. Aber locke ihn ohne die Hexe und ohne den Hermaphroditen hierher! Ich werde mich mit Luguri in Verbindung setzen und ihn fragen, wie wir dem furchtbaren Stigma in seinem Gesicht entgegentreten können."
„Meine Jüngerinnen fürchten sich vor dem Schwert der Schattenfrau, Zakum", preßte sie zwischen ihren blutleeren Lippen hervor.
Der Dämon winkte ab.
„Du wirst einen Weg finden, ihnen die Angst zu nehmen. Dir bleibt nicht viel Zeit. Ich werde in zwei Nächten zurück sein. Dann muß alles bereit sein. Denke daran, daß der Herrscher der Finsternis dich zu einer großen Dämonin machen oder dich verdammen kann!"
Zakum zog die Kapuze seines togaartigen Umhangs über den Kopf und trat durch die schmale Tür neben dem dreiflügeligen Altar. Dumpf schlug sie hinter ihm zu, und Beatha, die Tochter des Dämonendrillings Bethiar, war allein. Minutenlang stand sie starr und mit weichen Knien da.
Dann trat sie an den Altar und zog an einer Kordel. Die schwarzen Tücher vor dem Triptychon glitten zurück.
Die Bildnisse ihres Vaters, ihres Onkels und ihrer Tante gaben ihr wieder Kraft. Erregung erfüllt sie. Thoragis hatte ihr gezeigt, wie sie ihre wahre Gestalt annehmen konnte. Sie spürte, wie sie sich veränderte. Lange schwarze, borstige Haare bildeten sich auf ihrer Haut. Sie brauchte in keinen Spiegel zu blicken, um zu wissen, wie sie aussah. Sie war das Ebenbild ihres Vaters Bethiar, der vom mittleren Teil des Tritychons auf die herabblickte.
Ein Spinnenmonster mit einem riesigen Maul, das einen ganzen Menschen verschlingen konnte. „Kommt zu mir, meine Jüngerinnen", flüsterte sie.
Der Vikar schob Dorian das Buch zu.
„Hier", sagte er. „Das waren die Frauen Jan van Leydens."
Jan van Leyden war der Anführer der Wiedertäufer in den Jahren 1534 und 1535 gewesen, als die Stadt von den Truppen des Bischofs Franz von Waldeck belagert worden war. Er hatte sich als König des Neuen Jerusalem ausgerufen. Nach dem Tod seines Vorgängers und Freundes Jan Matthys hatte er dessen schwangere Frau Divara geheiratet. Da die hochschwangere Frau seine körperlichen Begierden nicht befriedigen konnte, schlich er sich zu einer seiner Mägde. Jemand erwischte ihn dabei und klagte ihn des Ehebruchs an. Doch Jan van Leyden gelang es, sich herauszureden. Er fragte, ob denn nicht Abraham, David, Jakob und all die anderen Patriarchen aus dem Alten Testament mehrere Frauen gehabt hatten.
Sooft sie die Bibel auch lasen, nirgends stand geschrieben, daß der Mann mit einer einzigen Frau leben solle.
Jan van Leyden, der König der Wiedertäufer, heiratete die Magd und weitere vierzehn Frauen. Dorian las die Namen.
Nur eine hatte den Vornamen Elisabeth.
Ihr Name war Elisabeth Wandscherer.
Der Dämonenkiller schaute Lettau an.
„Ist etwas über diese Elisabeth Wandscherer bekannt?" fragte er.
Der Vikar nickte.
„Bei Kerssenbrock steht, daß Jan van Leyden sie kennenlernte, als sie vor sein Gericht trat, um gegen ihren Vater zu klagen, der sie nach dem Tod ihres ersten Mannes mit einem anderen Mann verheiratet hatte, den sie nicht ausstehen konnte. Sie beantragte die Auflösung der Ehe. Das Gericht gab ihrem Gesuch statt, sagte ihr jedoch, daß eine Frau ihrem Mann Gehorsam schuldig sei. Darauf antwortete Elisabeth Wandscherer, daß es in ganz Münster keinen Mann gäbe, der sie
Weitere Kostenlose Bücher