1561 - Wächterin der Nacht
dorthin.«
»Tatsächlich?« fragte ich.
»Klar. Schauen Sie sich nur mal das Kreuz an. Oder muss ich Ihnen sagen, welche Initialen Sie dort finden?«
»Nein, Sir, müssen Sie nicht. Aber Buchstaben sind stumm. Ich kann sie leider nicht zum Sprechen bringen.«
»Schade. Da hätten Sie bestimmt mehr über diesen Engel Liliane erfahren können.«
Er nickte und griff zum Telefonhörer. Diese Geste zeigte uns an, dass wir entlassen waren…
***
Glenda schaute uns mit einem neugierigen Ausdruck in den Augen an.
»Na, was hat es gegeben?«
»Du weißt es schon«, sagte ich.
»Wie? Was weiß ich?«
»Über den neuen Fall.«
Sie musste nicht lange überlegen. »Hängt er mit dem Artikel über die Sache auf dem Hoteldach zusammen?«
»Ja, wir suchen einen Engel, der auf den Namen Liliane hört. Sagt er dir etwas?«
Glenda brauchte nicht lange zu überlegen und schüttelte den Kopf. »Nein, da bin ich überfragt. Mich dürft ihr sowieso nicht auf Engel ansprechen. Das ist nicht mein Gebiet.«
»Stellt sich nur die Frage«, sagte Suko, »zu welcher Gruppe dieser Engel gehört.«
»Zu den bösen.«
»Meinst du?«
Ich schaute ihn von der Seite her an. »Kannst du dir denn etwas anderes vorstellen?«
»Keine Ahnung. Mir ist da plötzlich unser Freund Raniel eingefallen, der Gerechte. Wenn wir uns durch den Kopf gehen lassen, was passiert ist, könnte es nicht sein, dass diese Liliane zu ihm gehört?«
Mit dem, was Suko da gesagt hatte, konnte ich mich nicht so recht anfreunden.
»Er nennt sich zwar der Gerechte, Suko, aber er geht immer nur von seiner eigenen Gerechtigkeit aus, und die stimmt oft nicht mit der unseren überein.«
»Möglich.«
»Wenn es so wäre, muss diese Liliane einen Grund gehabt haben, so abzurechnen.«
»Was spricht dagegen?«
Ja, was sprach dagegen?
Ich war nicht in der Lage, Suko eine normale Antwort zu geben. Noch tappten wir im Dunkeln. Es gab zwar genügend Fakten, aber da mussten wir erst recherchieren, ob diese auch der Wahrheit entsprachen. Durch Reden erreichten wir nichts.
»Zwei Geisterjäger, die betreten aussehen«, sagte unsere Assistentin. »Habt ihr denn etwas, wo ihr ansetzen könntet?«
»Bei einem Model. Judy King. Sie ist als Einzige von dem Engel verschont worden.«
Glenda lächelte. »Und zu ihr fahrt ihr hin?«
»Genau das haben wir vor…«
***
Judy wusste nicht oder konnte sich kaum daran erinnern, wie sie die Zeit nach dem Drama auf dem Dach des Hotels verbracht hatte.
Sie war verhört worden und hatte die Wahrheit gesagt, wie sie sie erlebt hatte. Der Schock hatte bei ihr dafür gesorgt, dass die Antworten nur so aus ihr herausgesprudelt waren, und die Beamten hatten gut zugehört. Sie wollten unbedingt herausfinden, warum Judy als Einzige verschont geblieben war, aber darauf konnte sie den Beamten keine Antwort geben.
Es gab auch keinen Grund, sie festzuhalten. Es gab nur Spekulationen, die sich zumeist um ihre Flügel drehten, die dem Engel wohl nicht gefallen hatten.
Dass die Polizisten bei dem Begriff »Engel« geblieben waren, wunderte Judy, denn sie hatten ihr erklärt, dass sie eigentlich nicht an sichtbare Engel glaubten.
Das hatte Judy bisher auch nicht getan. Nun war sie eines Besseren belehrt worden.
Alles Schlimme hatte irgendwie auch eine gute Seite. Obwohl es ihr schwer fiel, sah sie auch hier den Lichtstreifen, denn der Angriff hatte keinen Menschen das Leben gekostet. Es hatte Verletzte gegeben, aber keine Toten, und das war schließlich auch etwas.
Judy King war froh, den Beruf des Models ausüben zu können. Sie hätte es gehasst, regelmäßig zur Arbeit gehen zu müssen wie ein Arbeiter oder Angestellter.
Momentan gab es zwar einen weiteren Auftrag, der stand jedoch erst in einer Woche an, und darüber machte sie sich jetzt noch keine Gedanken.
Judy hatte sich nie davor gefürchtet, ihr kleines Apartment zu betreten. Es befand sich in einem Wohnsilo. Im vierten Stock lagen die beiden Zimmer, zu denen noch ein Bad und eine winzige Küche gehörten.
Sie schloss die Tür auf, stieß sie nach innen, blieb aber davor stehen, um zu lauschen.
Bis auf ein bestimmtes Geräusch war alles still. Und das stammte von der alten Uhr, die einmal ihrer Großmutter gehört hatte und die jetzt im Wohnraum an der Wand hing.
Es ärgerte sie, dass sie schwitzte. Sie musste sich stark überwinden, um die kleine Wohnung zu betreten.
Hier sah alles aus wie immer. Nichts wies darauf hin, dass sie einen nicht angemeldeten Besuch bekommen hatte.
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