1563 - Blut-Geschwister
Hände zitterten.
Sie hatte Mühe, den Schnaps nicht zu verschütten.
Beide nickten sich zu und tranken. Als sie die Gläser wieder abgesetzt hatten, fragte Walter: »Was haben wir da gesehen? Sag es mir.«
»Ich weiß es nicht.«
»Aber wir haben es gesehen.«
»Ja.«
Walter nickte. Er wischte über seine Augen. »Es kommt mir vor wie ein böser Traum.«
»Mir auch. Nur war es keiner.«
»Stimmt.« Walter griff zur Flasche und schenkte sich das Glas noch mal voll.
»Weißt du, was ich gedacht habe?« Er lachte. »Ich traue mich fast nicht, es dir zu sagen, aber ich habe gedacht, dass die Frau kein normaler Mensch gewesen ist.«
Amanda starte ihn an. »Wie meinst du das?«
»Wie ich es sagte. Sie ist für mich kein normaler Mensch oder keine normale Frau gewesen.«
»Was dann?«
Wieder senkte er seine Stimme. Er musste erst einen Schluck Kirschwasser trinken.
»Sie - sie - war eine Blutsaugerin, eine Vampirin. Die hat den Mann nicht geküsst, das habe ich genau gesehen. Sie hat ihn sich zurechtgelegt. Sie hat ihn - ich meine sie hat sich an seinem Hals zu schaffen gemacht.«
»Und das bedeutet?«
»Dass sie ihn gebissen hat!«
»Nein!«
Walter schaute in das entsetze Gesicht seiner Frau und hob die Schultern. »Mehr kann ich dir nicht dazu sagen.«
»Gebissen?«, hauchte sie. »Ein Vampir, ein weiblicher Blutsauger? Das ist grauenhaft. Unglaublich. Das kann ich nicht glauben. So etwas gibt es nicht.«
»Sollte man meinen. Aber was ich gesehen habe, das habe ich genau gesehen.«
»Vampire in der Wirklichkeit?« Amanda sah aus, als wollte sie anfangen zu lachen.
Sie tat es dann doch nicht und presste die Lippen zusammen. Dann zog sie die Nase hoch und atmete schwer aus. »Wenn ich darüber nachdenke, dann - dann…«
»Kannst du mir eine andere Erklärung für dieses Verhalten geben?«
»Nein, das kann ich nicht.«
»Eben.«
Amanda schlug sich gegen den Kopf. Sie sprach mehr zu sich selbst und verstand ihre eigenen Worte nicht, während sich ihr Mann an den Tisch setzte.
Walter schaute ins Leere. Er wollte ja selbst nicht glauben, was er gesehen hatte, aber es ließ sich nicht aus seinem Gedächtnis tilgen. Es war schaurig gewesen, einfach grauenhaft und mit einer normalen Logik nicht zu fassen.
»Wie eine Beute hat sie Boris weggeschleppt«, flüsterte Walter. »Wie ein Beutestück.« Er starrte Amanda an, die sich mittlerweile auch gesetzt hatte. »Das hast du doch ebenfalls gesehen - oder?«
»Ja, das habe ich.«
»Und was sagst du dazu?«
»Keine Ahnung. Im Prinzip musste ich dir recht geben. Aber ich kann es nicht. Das - das - ist zu viel verlangt.«
»Klar, so sehe ich das auch. Aber die Tatsachen sprechen schon dagegen. Ich oder wir haben doch nicht geträumt.«
»Nein, das haben wir nicht. Aber wir werden Boris morgen fragen, wenn wir ihn sehen.«
Walter schaute seiner Frau in die Augen. Mit leiser Stimme fragte er: »Und du glaubst wirklich, dass wir ihn sehen werden, Amanda? Glaubst du das?«
»Ja.«
»Ich nicht. Ich habe gesehen, wie man ihn abgeschleppt und weggebracht hat. Das hat nichts mehr mit der Normalität zu tun. Das ist völlig anders. Das entspricht auch nicht mehr unserem Menschsein. Denk bitte daran.«
Amanda funkelte Walter an. »Ich kann mich aber nicht mit dem Gedanken an einen Vampir abfinden. Diese Gestalten kommen nur in Büchern und Filmen vor.«
»Mag sein, dass wir umdenken müssen.«
»Bitte?«
»Ja.« Er nickte heftig. »Umdenken.«
Sie musste erst schlucken und fragte dann: »Wie - wie willst du das denn machen?«
»Wir werden den Tag abwarten.«
»Das ist klar.«
Walter ließ sich nicht aus dem Konzept bringen. »Und dann werden wir uns auf die Suche nach Boris machen. Wenn wir ihn finden und wenn er normal ist, nehme ich alles zurück.«
»Und wenn nicht?«
Walter Quirin schloss für einen Moment die Augen. »Dann werde ich wohl in meiner ehemaligen Dienststelle vorsprechen müssen, und dabei werde ich unseren Sohn nicht einweihen.«
Amanda, zog ein ungläubiges Gesicht. »Was willst du tun? Du bist pensioniert. Du bist fünf Jahre aus dem Job. Man wird dich auslachen.«
Walter schaute seiner Frau ernst in die Augen. »Nein, das wird man nicht. Bestimmt nicht.«
»Und was macht dich so sicher?«
Er lehnte sich zurück und legte die Hände übereinander. »Ich kann es dir sagen. Ich habe nie viel über meinen Beruf erzählt, weil ich es nicht durfte. Aber ich weiß, dass es bei unserem Verein jemanden gibt, der sich um ungewöhnliche
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