157 - Das Erbe der Alten
je könnte.
»Laserleitstrahl hat die Steuerung übernommen«, meldete der Pilot. »Er holt uns vor der Zentrale des Testgeländes aus der Luft.«
Der Patriarch hatte sich in seinem Rollstuhl ins Cockpit des neuen Großraumgleiters schieben lassen. Seine Urenkelin Rulia Fredis stand hinter ihm. Ihre Rechte lag auf seiner Schulter. Er hörte sie atmen, spürte die Wärme ihrer Hand. Grüße eines jungen, aufblühenden Lebens waren das, und es tat ihm unglaublich gut, sie wahrzunehmen. In solchen Momenten spürte er, dass noch Leben und Kraft in ihm war. Er wünschte, Rulia Fredis würde ihre Hand für immer auf seiner Schulter liegen lassen. Er wünschte, sie würde niemals älter werden und er noch tausend Jahre leben.
Er drehte sich nach seiner Urenkelin um und lächelte sie zärtlich an. Verlegen erwiderte sie sein Lächeln.
An ihr vorbei konnte er in den offenen Laderaum schauen.
Dort ruhte, festgegurtet auf einem Podest, ein hellgrauer Kunststoffcontainer: zwei Meter lang, achtzig Zentimeter breit und fünfzig Zentimeter hoch.
Es stimmte nicht ganz, dass Jarro Fachhid nur zum Testgelände flog, um sein Operationsteam zu verabschieden. In erster Linie flog er zu dieser nächtlichen Stunde dorthin, um sein Operationsteam mit der vielleicht wichtigsten Waffe für dieses Unternehmen auszurüsten. Obwohl Ettondo Lupos als Ratsherr über jeden wünschenswerten Kontakt verfügte, hatte er diesen Trumpf erst im Laufe der letzten Stunde beschaffen können. Spät, aber nicht zu spät.
Im Sichtfeld über der Ortungskonsole sah der Patriarch die Positionslichter des Signalturms von MOVEGONZ TECHNOLOGY. Hier, in direkter Nachbarschaft der Hauptverwaltung und des Testgeländes, unterhielt das Haus Gonzales noch ein kleines Fertigungswerk. Neuentwicklungen erhielten in diesen Hallen ihren letzten Schliff, bevor sie in die Testphase entlassen wurden.
Sekunden später erkannte er die Lichtmarkierung um den Landeplatz im Testareal. Der Gleiter sank nach unten und setzte sanft auf dem Boden auf. »Hilf mir beim Aussteigen, mein Kind.«
Rulia Fredis zog seinen Rollstuhl zurück in den Laderaum und stellte ihn neben dem Container ab. Sie öffnete die Ladeluke und sorgte durch einen Knopfdruck dafür, dass die Rampe ausgefahren wurde. Danach konnte der Patriarch seinen Rollstuhl selbstständig aus der Maschine steuern. »Bleib in meiner Nähe, mein Kind.«
Der Pilot schnallte den Container los, und während ein kleiner Stapelrobot ihn aus dem Laderaum des Großraumgleiters holte, steuerte der Patriarch eine offene Großgarage an. Seine Urenkelin folgte ihm.
In der hell erleuchteten Garage sah er den spitz zulaufenden Bug und die Cockpitkuppel des Waldläufers. Jarro Fachhids Herz tat, was es schon in seiner Jugend getan hatte, wann immer er eine Neuentwicklung aus den hauseigenen Werken zu sehen bekam: Es schlug höher.
Zugegeben – das sechzehn Meter lange, fünf Meter hohe und aus vier Segmenten bestehende Kettenfahrzeug mit seinem pilzartigen Querschnitt war nicht eben eine Augenweide. Aber Tartus Marvin und sein Team hatten es auch nicht entwickelt, um einen Designerwettbewerb zu gewinnen. Das mit der harmlos klingenden Bezeichnung »Überlandtransporter« belegte Gerät war in Wahrheit ein Überlebenssystem für Dauereinsätze in Extremzonen, eine Festung, um sich in lebensfeindlicher Umgebung durchzusetzen, eine Drohung aus Metall, Kunststoff, Elektronik und Software..
Eines Tages, unter der Regierung einer mutigeren und weitsichtigeren Ratspräsidentin, würden derartige Kolosse durch die Dschungel, Wüsten und Ruinen des Mutterplaneten Erde pflügen. Nichts wünschte Jarro Fachhid sehnlicher, als diesen Tag noch erleben zu können.
In der Großgarage, neben und vor dem Waldläufer wartete Reza Gundol mit zwei Frauen und vier Männern. Der Präsident von MOVEGONZ TECHNOLOGY hatte von sich aus angeboten, die Operation zu leiten. Hätte er es nicht getan, hätte Jarro Fachhid ihn darum gebeten.
Vor den Männern und Frauen hielt der Patriarch seinen Rollstuhl an. »Seid ihr also bereit zur Abfahrt. Sehr gut.« Einen nach dem anderen fasste er ins Auge: seinen Enkel Reza Gundol, den blonden Curd Renatus Braxton, Tartus Marvin, den schwarz gelockten und durch seine hervortretende Mundpartie nicht besonders ansehnlichen Chefingenieur, den schweigsamen Testpiloten Barcon Petero mit seinen großen hellblauen Augen, die K-Club-Meisterin, die sich Lill nannte, die blauhaarige Frau mit dem Kampfnamen Herzbruch, und
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