157 - Der Tod von Baikonur
unverzüglich mit dem Mann reden. Jede Sekunde, die wir verlieren, zählt vielleicht."
Er erhob sich, griff die Wodkaflasche und schob sie in eine Innentasche seines schwarzen Wettermantels. „Für heute abend", grinste er. „Ich lade Sie dann zu einem Umtrunk ein."
Kaspoff verzog das Gesicht.
„Samjatow ist krank im Hirn", sagte der Kommandant. „Er sieht Dinge, die es gar nicht gibt. Er setzt sich über Regeln und Vorschriften hinweg. Der Alpha-Alarm war unnötig. Samjatow sieht Gespenster. Ich nehme an, daß sein Gehirn mit seinen unheimlichen Fähigkeiten nicht fertig wird und sich im Lauf der Zeit selbst zerstört. Es ist unnatürlich."
„Natürlich", nickte Kiwibin.
„Wie bitte?" schnappte der Kommandant irritiert.
„Es ist natürlich unnatürlich, daß Sie diese Meinung vertreten. Waren Sie schon einmal in einem PSI-Forschungszentrum?"
„Ich hatte noch nicht das Mißvergnügen", sagte Kaspoff.
„Schade. Wahrscheinlich wären Sie sehr beeindruckt. Die Technik", Kiwibin machte eine umfassende Armbewegung, „ist nicht alles. Der menschliche Geist vermag vieles zu bewirken. Es heißt, daß die Telepathie vor einigen Jahrzehntausenden, in der Frühzeit der Menschheit, die normale Art der Verständigung war."
„Darauf kann ich verzichten", sagte Kaspoff.
„Und weil damals zu viele Leute so dachten wie Sie jetzt, hat die Menschheit die Telepathie verlernt. Nur hin und wieder erinnern sich besonders Begnadete daran. Menschen wie Samjatow."
Sie fuhren zur Unterkunft des Telepathen.
„Ich warte", sagte Kaspoff. Diesmal waren sie nicht mit dem offenen Geländewagen gefahren, sondern mit einer großen Volvo-Limousine, deren Klimaanlage eine annehmbare Wärme im Fahrzeuginnern schuf. Kiwibin sah Kaspoff prüfend an. Etwas an dem Mann gefiel ihm nicht, aber er konnte nicht sagen, was. Die Ablehnung war eigentlich normal, wenn Kaspoff den Telepathen nicht mochte.
„Gut", sagte Kiwibin.
Er betrat den Flachbau und suchte die Tür, hinter der sich Samjatows Zimmer befand. Auf sein Klopfen antwortete niemand. Probeweise drückte Kiwibin die Türklinke nieder. Die Tür schwang nach innen auf.
Kiwibin nahm sofort den Blutgeruch wahr, der in der Luft lag. Und da war noch etwas anderes. Ein wilder, herber Geruch wie von einem Raubtier.
Eine spanische Wand verhinderte, daß die Bettcouch sofort eingesehen werden konnte. Kiwibin ging in das Zimmer hinein und sah um die Wand herum. Er erkannte Samjatow nicht sofort. Er sah nur das eingetrocknete Blut und eine furchtbar zugerichtete Gestalt. Er überwand sich und trat näher.
Samjatow war von einem Raubtier gerissen worden. Es mußte ein Wolf gewesen sein. Hier würde Kiwibin nichts mehr erfahren.
„Der Mann muß unverzüglich eingeäschert werden", ordnete Kiwibin an. Die Männer, die ihn umstanden, sahen überrascht auf.
„Eingeäschert?" fragte Dr. Semjenow. „Wozu das? Und warum sofort? Die Obduktion…"
„… können Sie sich sparen", sagte Kiwibin grob. „Daß der Mann von einem Wolf getötet worden ist, sieht ein Blinder mit dem Krückstock. Erzählen Sie mir lieber, wie ein Wolf hier hereinkommt. Nun?"
„Es ist unmöglich", ereiferte sich der bebrillte Arzt. „Eben deshalb… jemand hat bestimmt versucht, vorzutäuschen, daß ein Wolf…"
Kiwibin schüttelte nur langsam den Kopf. Der Arzt unterbrach sich nervös.
„Es war ein Wolf', sagte er. „Wer wäre so närrisch, einen Wolf vorzutäuschen, wo jeder weiß, daß es in ganz Baikonur keinen einzigen Wolfschwanz gibt, geschweige denn einen kompletten Wolf mit Zähnen und Klauen?"
„Sie widersprechen sich", sagte der Kommandant.
Kiwibin lächelte. Er erwiderte Kaspoffs Blick und sah, wie der Kommandant zusammenzuckte. „Vielleicht nicht", sagte er. „Hat Samjatow Sie in den Wortlaut seiner letzten Nachricht eingeweiht? Er wußte, wer der fremde Telepath ist."
„Ein amerikanischer Spion?"
„Er hat Sie also nicht eingeweiht", sagte Kiwibin. „Auch gut. Nein, es war kein Amerikaner. Lassen Sie uns unter vier Augen darüber reden. Und sorgen Sie dafür, daß der Tote verbrannt wird. Noch in dieser Stunde."
„Aber warum?" ereiferte sich der Arzt.
„Wegen der Wölfe", sagte Kiwibin geheimnisvoll.
„Sie dürften mir bei Gelegenheit einmal genau erklären, was in Ihrem Gehirn vorgeht", verlangte Kaspoff etwas später. „Sie reden einen Blödsinn daher, daß einem schlecht wird, Genosse Kiwibin." „Sie sollten einen Schluck Wodka trinken, das beruhigt Ihre Magennerven
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