1571 - Der fliegende Tod
dass das Krankenhaus eine Rolle spielt, aber davon abgesehen, es gibt ja nicht nur das Kind. Wir sollten auch an die Mutter denken.«
Frank Herzog bewies, dass er dem Gespräch gefolgt war, denn er sagte:
»Fatima lebt.«
»Haben Sie Ihre Frau denn gesehen?«, fragte ich.
»Nein, aber ich habe von Dr. Jäger gehört, dass sie am Leben ist. Das muss ich glauben.«
»Und er hat Ihnen auch den Tod Ihrer Tochter mitgeteilt?«
»Ja, das musste er. Ich habe ihm zunächst nicht geglaubt, dann aber ist für mich eine Welt zusammengebrochen, und ich frage mich, warum er mich hätte anlügen sollen. Er hat alles getan, aber auch Ärzte sind manchmal machtlos.«
»Und was sagt Ihre Frau dazu? Hat man ihr schon gesagt, dass sie eine Totgeburt hatte?«
»Das weiß ich nicht.«
»Wie?«
»Ich habe noch nicht mit ihr gesprochen. Klaus sagte mir, dass man sie in ein künstliches Koma versetzt hätte.«
»Und Sie haben nicht nach ihr gesehen?«, fragte Dagmar ungläubig.
Frank Herzog starrte sie an. Es schien, dass er ihre Worte erst verdauen musste. Dann lief sein Gesicht rot an. Doch bevor er ihr eine Antwort geben konnte, sagte Harry: »Was haben Sie jetzt vor? Haben Sie sich darüber schon mal Gedanken gemacht?«
»Ich kann es nicht sagen. Erst mal bin ich hier und warte ab, bis es Fatima besser geht.«
»Gibt man Ihnen Bescheid?«
»Ja, der Arzt hat versprochen, dass er mich anruft, wenn Fatima wieder bei Bewusstsein ist.« Ein schwaches Lächeln huschte über sein Gesicht.
»So lange werde ich warten und vielleicht auch beten, was ich lange nicht mehr getan habe.«
So einfach wollte ich ihn nicht gehen lassen. »Kann man Ihren Freund Dr. Jäger telefonisch erreichen?«
»Ja, das können Sie?«
»Darf ich die Nummer haben?«
Er diktierte sie, und Dagmar Hansen merkte sie sich.
Danach ging er grußlos weg. Er wollte jetzt allein sein, was auch verständlich war. Wir würden nicht mehr viel aus ihm herausbekommen und überlegten uns einen anderen Weg, von dem wir drei überzeugt waren, dass er ans Ziel führen würde.
Dagmar fragte direkt: »Glaubt ihr an den Kindstod?«
Da keiner eine Antwort gab, übernahm sie das. »Ich glaube nicht daran, denn ich denke an den Vogel mit dem Kind. Es ist zwar nur eine Theorie, aber ich gehe trotzdem nicht davon ab. Es ist durchaus möglich, dass dieses Kind gebraucht wurde. Dass man es der Mutter direkt nach der Geburt weggenommen hat, ohne dass sie es merkte. Ihr hat man erzählt, dass es tot geboren wurde.«
»Kann sein«, sagte ich.
»Und wo werden wir die Antwort am ehesten finden?«
»In der Klinik«, sagte Harry.
»Genau!«
***
Fichten, Tannen und Unterholz bildeten einen dichten Ring um den alten Bau, der früher eine Kapelle gewesen war, die allerdings seit Jahren leer stand und auch von den Menschen vergessen war. Der Weg, der mal auf die kleine Anhöhe geführt hatte, war längst zugewachsen. Wer immer den Ort erreichen wollte, musste sich schon gut auskennen.
Es gab eine Frau, die sich auskannte. Mit ihrem kleinen Smart war sie so weit wie möglich an das Gelände herangefahren. Dort hatte sie den Wagen an einer Stelle abgestellt, die vom Buschwerk umgeben war.
Dann war sie ausgestiegen und kümmerte sich um das, was auf dem Beifahrersitz lag. Es war zuerst nicht zu sehen, weil es so gut eingewickelt worden war. Unter dem Stoff allerdings zuckte es, und als die Frau den Stoff ein wenig zur Seite schob, wurde das kleine Gesicht eines Babys sichtbar. Ein rosiges und faltiges Etwas mit kleinen funkelnden Äuglein.
Die Krankenschwester lächelte die Kleine an.
»Du bist es. Du bist die Zukunft. Es hat so lange gedauert, aber jetzt bist du da…« Mit zarten Bewegungen streichelten die Finger über die Wangen des Säuglings, und Mary freute sich, als die kleinen Lippen zuckten. Es schien dem Baby zu gefallen.
»Du bist Suleika. Du bist die Prinzessin, denn du bist endlich wieder da.«
Das Kind verstand von allem nichts. Es lag in seinem weichen Bett aus Stoff und wurde jetzt behutsam angehoben, weil Mary es an einen bestimmten Platz bringen wollte.
Mit dem Baby auf den Armen musste sie das Waldstück durchqueren, das die Kapelle überwuchert hatte. Die Strecke war sie schon öfter gegangen. Schon bald tauchten die alten Mauern der vergessenen Kapelle auf. Es war ein kleiner Bau. Mehr eine Betstätte für eine Familie, wie man sie oft im Hochgebirge fand.
Es gab auch kleine Fenster, doch sie waren ohne Scheiben. Das Dach war an einer Seite eingestürzt,
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