1582 - Das Kimalog
erklärte Adonor dazu. „Man muß in der Grotte sein, um die Ausstrahlung der Felsmalereien zu spüren. Aber vielleicht verstehst du wenigstens die Geschichte, die diese Bilder erzählen."
Roi ließ seine Blicke zuerst über die fünf Holos gleiten. Ja, sie erzählten offenbar eine durchgehende Geschichte. Er zog seine Blicke zurück und konzentrierte sich auf das erste Bild.
Darauf waren auf felsigem Grund zwei Kreisobjekte zu sehen, durch einfache Schattierungen sollte offenbar eine Kugelform dargestellt werden. Kugelraumer. Der Hintergrund voller unregelmäßiger Formen und kippender Bögen. Berstende Felsen und stürzende Wasser. „Das dürfte, eine Darstellung vom Absturz der tefrodischen SAMUR und der arkonidischen RIUNAN während der planetaren Katastrophe sein", kommentierte Roi. Adonor nickte.
Auf dem nächsten Bild waren Strichmännchen zu sehen. Die einen durch geschlossene Brustflächen, die anderen durch Rippenbögen gekennzeichnet: die überlebenden Arkoniden und Tefroder.
Auf dem dritten Bild war zu sehen, wie sich alle Überlebenden, Tefroder wie Arkoniden, um ein gemeinsames Zentrum formierten. Sie hatten ihre Stricharme ins Zentrum gestreckt, und ihre Hände waren durch eine unregelmäßige und verzweigte Doppellinie verbunden. „Was stellt dieses Verbindungsstuck dar?" erkundigte sich Roi. „Konnte es sich um eine Pflanze, den Ast eines Baumes handeln?"
„Exakt", bestätigte Adonor. „Im Original ist das viel besser zu erkennen: Alle Überlebenden, egal welcher Abstammung, halten sich gemeinsam an einem Ast fest."
Vielleicht als Symbol für einen Strohhalm, an den man sich in höchster Not klammert? dachte Roi. Aber das war wohl zu terranisch gedacht. Wie auch immer, es war klar, daß dieser Baumast den Schiffbrüchigen eine gemeinsame Überlebenshilfe bot.
Das vierte Bild zeigte Tefroder und Arkoniden in langer Reihe. Die ersten in der Reihe hielten jeder das Symbol für ein kleines Pflänzchen. In der Reihe weiter unten wurde der Ast, noch mit mehreren Trieben versehen, weitergereicht. Im folgenden Abschnitt der Reihe besaß der Ast schon weniger Triebe.
Dafür hielten die voranstehenden Strichmännchen solche in Händen.
Und das letzte Bild schließlich zeigte die Tefroder und Arkoniden kniend. Wie sie die Pflänzchen einsetzten.
Wie diese wuchsen und wie daraus neue Pflänzchen gezogen wurden. Die Darstellung der einzelnen Sequenzen war ähnlich der eines Daumenkinos, nur eben auf einem Streifen nebeneinander aufgereiht.
Perry hatte ihm mal so ein Daumenkino gezeigt, als Erinnerung an die eigene Jugend. Der junge Mike, im High-Tech-Zeitalter des 25. Jahrhunderts aufgewachsen, war begeistert gewesen von diesem mit einfachsten Mitteln dargestellten Bewegungsablauf.
Roi betrachtete dieses letzte Bild lange, ehe er bewegt sagte: „Es ist die Geschichte vom Ursprung der Kimasträucher. Ich glaube, daß mir die Bilder sehr wohl die wichtige Bedeutung dieses Brauches für das Überleben der Schiffbrüchigen und vielleicht sogar für das Entstehen der linguidischen Rasse vermitteln können. Aber was steckt dahinter? Wieso ist dieser Brauch so lebenswichtig geworden?"
Adonor antwortete: „Das ist die Frage, die auch ich mir stelle und auf die Sando die Antwort gefunden haben muß.
Man müßte Gelegenheit haben, die Bilder in Zonai im Original zu betrachten. Nur so kann man die Antwort finden."
Roi nickte. „Wir werden uns eine solche Gelegenheit verschaffen", versprach er. „Jetzt erholen wir uns erst einmal von den vergangenen Strapazen. Du kannst mein Gast sein, solange es dir gefällt, Adonor."
„Danke, Roi."
Auf dem Weg zur Kommandozentrale sah Michael Rhodan immer wieder die Bilder der Höhlenmalereien vor seinem geistigen Auge. Und ihm fielen in diesem Zusammenhang die Worte ein, die Sando Genard kurz vor seinem Tod zu ihm gesagt hatte.
Er kannte nicht mehr den genauen Wortlaut, aber Sando Genard hatte „von dem Ast" gesprochen, „an den sich die ersten Linguiden geklammert hatten, um den Bezug zur Realität nicht zu verlieren".
Sie gingen ihm nicht aus dem Sinn. Ebensowenig wie die Felsmalereien. Aber es wollte ihm noch nicht gelingen, hinter ihr Geheimnis zu kommen.
ENDE
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