1592 - Der Tiermensch
Nähe stand, hatte er den Eindruck, dass ihre Konturen vor seinen Augen verschwammen. Sie schien sich zurückzuziehen in eine Nebelwand oder in etwas Ähnliches.
Die Berührung riss ihn aus seinen Gedanken. Eine Klaue hatte nach seinem Handtuch gegriffen und fetzte es ihm vom Körper weg.
Es hatte den Boden kaum berührt, als Morgana erneut Zugriff.
Diesmal packte sie den Mann. Sie schlug die Krallen in die Haut an seinen Schultern, wuchtete ihn herum und schleuderte ihn von sich.
Noah Lynch war noch immer so überrascht, dass er sich nicht wehren konnte. Diesmal war er es, der auf das Bett prallte. Er wurde in die Höhe geschleudert, bevor er wieder zurückfiel.
Da war sie schon über ihm.
Er hatte die Bewegung nicht gesehen, aber er spürte, dass ihr weiches Fell über seine nackte Haut rieb, und zugleich strich ein warmer Atemstoß über sein Gesicht.
Sie lag plötzlich auf ihm. Er riss die Augen auf. Zugleich nahm er einen strengen Geruch wahr, und da er die Augen nicht wieder schloss, sah er dicht vor seinem Gesicht das ihre über ihm schweben.
Es war ein normales Gesicht. Es wuchs nicht ein einziges Fellhaar auf der glatten Haut. Er sah die feucht schimmernden Lippen des halb geöffneten Mundes. Er hörte auch so etwas wie ein geiles Gurren und erkannte in ihren Augen die Veränderung. Waren sie vor kurzem noch warm und rehbraun gewesen, so zeigten sie jetzt einen anderen Ausdruck.
So klar, aber auch so kalt.
Raubtierhaft - wölfisch…
Und sie sprang ihn an.
»Du wolltest mich doch. Du wolltest mit mir ins Bett. Das wollte ich auch, mein Freund, aber nur nach meinen Regeln, verstehst du?«
Nein, er verstand und begriff nichts. Das Leben hatte ihm von einem Moment zum anderen einen Albtraum beschert, der tatsächlich real war.
Das musste er leider zugeben.
Noah war ein kräftiger Mann, der sich zu wehren wusste. Doch nicht jetzt. Er fühlte sich noch immer wie paralysiert. Es gelang ihm nicht, sich aus dieser Starre zu befreien. Sie war so unnatürlich und sie war…
Er merkte, dass sich Morgana Laytons Hände bewegten.
Nein, das waren keine normalen Hände. Das waren Klauen, die über seinen nackten Körper strichen. Aber sie rissen seine Haut nicht auf, auch wenn sie ihm wie Nadeln vorkamen, die immer höher wanderten und schließlich sein Gesicht erreichten.
»Und jetzt bin ich an der Reihe«, flüsterte Morgana. »Was glaubst du, weshalb ich zu dir gekommen bin und warum du mich überhaupt gefunden hast? Weil ich es so wollte. Ja, ich wollte dich, denn du bist für mich ideal. Besser hätte es für mich nicht laufen können. Einer wie du passt perfekt in meine großen Pläne.«
Lynch hatte jedes Wort verstanden. Allein, er begriff nichts. Es war ihm nicht möglich. Diese Wahrheit konnte er einfach nicht akzeptieren.
Augenblicke später lief der Film weiter. Schneller sogar. Ja, er glaubte daran, sich in einem bösen Film zu befinden, der jetzt im Zeitraffer ablief.
Es war unwahrscheinlich, was er da zu sehen bekam, denn über ihm veränderte sich nun das Gesicht der Frau. Es zog sich in der unteren Hälfte in die Länge. Zugleich wuchsen die dünnen Haare aus der Haut und verdichteten sich zu einem Fell, das das gesamte Gesicht vom Kinn bis zur Stirn bedeckte.
Aus dem Mund war eine Schnauze geworden, aus der warmer Atem zischte. Da gab es keine menschlichen Zähne mehr, sondern nur noch ein Gebiss mit gefährlich spitzen Hauern.
Für Noah war das Ende nah. Er hatte den Eindruck, tief zu fallen und hineinzufallen in einen unergründlichen Schacht.
Es wurde tatsächlich dunkel vor seinen Augen.
Er wollte nicht mehr hinsehen, aber da gab es eine Kraft, die ihn dazu zwang, und so starrte er wieder nach vorn in Morgana Laytons Gesicht, das nichts Menschliches mehr an sich hatte.
Ihre Augen waren zu Schlitzen geworden, in denen es böse leuchtete.
Den Mund gab es ebenfalls nicht mehr. Er war zu einem Maul oder einer Schnauze mutiert, wie er sie bei Wölfen gesehen hatte.
Im offenen Maul bewegte sich eine bräunliche Zunge. Speichel schimmerte auf ihr, und der Gestank aus ihrem Hals war widerlich.
Der Schock hielt Noah noch immer in seinen Klauen, und ihm kam noch nicht mal der Gedanke, sich zu wehren. Er ließ alles mit sich geschehen.
Er rechnete sogar damit, dass ihm die Kehle durchgebissen und er hier im Bett verbluten würde.
Das trat nicht ein.
Morgana Layton biss zwar zu, aber sie hatte nicht seine Kehle als Ziel ausgesucht. Er schrie auf, als der Schmerz durch seine Schulter
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