1592 - Der Tiermensch
gerissen hätte.
Die Wand war nah, und dort stützte er sich ab. Ebenso nah war die Tür zum Bad, die er aufdrückte und wenig später über die Schwelle stolperte.
Er wollte zum Spiegel und sich vom Kopf bis zu den Füßen anschauen, was ihm leichtfallen würde, denn er trug keinen Fetzen am Leib.
Der Spiegel mit dem alten Rahmen hing über dem Waschbecken. Er war groß genug, um den gesamten Körper des Mannes wiederzugeben, sodass er alles an sich erkannte. Den Kopf, die Beine, selbst die Füße, und er nahm sich sehr genau unter die Lupe.
Noah hatte von den alten unheimlichen Geschichten nie viel gehalten.
Jetzt, als er sich im Spiegel betrachtete, kamen sie ihm wieder in den Sinn. So dachte er daran, was geschehen konnte, wenn ein Mensch von einem Werwolf gebissen wurde. Dabei ging ein Keim in ihn über, der so stark war, dass der Mensch dem Fluch erlag und irgendwann selbst zu dieser Monstergestalt mutierte.
Ich auch?, fragte er sich und begann damit, jedes Stück Haut an seinem Körper abzusuchen. Er schaute sehr genau hin. Das Gesicht, der Oberkörper, die Beine bis hin zu den Füßen - er nahm alles sehr genau unter die Lupe.
Nichts war zu sehen!
Die Erleichterung darüber ließ ihn leicht schwanken, und er stützte sich mit beiden Händen am Rand des Waschbeckens ab.
Es war tatsächlich nichts zu sehen. Sein Körper sah aus wie immer, und genau dieses Wissen tat ihm jetzt gut.
Allerdings dauerte seine Erleichterung nicht lange an. Er sah wieder die Wunden in den beiden Schultern. Er war gebissen worden. Morgana Layton hatte den Keim in seinem Innern zurückgelassen, und er war sicher, dass dies Folgen haben würde.
Aber wann?
Er wusste zu wenig. Er kannte nur das, was er früher mal im Kino oder in der Glotze gesehen hatte. Da hatten es sich die Filmemacher leicht gemacht. Da war dann sehr plötzlich aus einem normalen Menschen ein Werwolf geworden.
Oder es hatte auch mal etwas länger gedauert…
Und was ist mit mir? Allein dass er sich diese Frage stellte, ließ darauf schließen, dass er damit rechnete, irgendwann den Beginn der Verwandlung zu erleben.
Der Gedanke daran war so schlimm, dass er anfing zu zittern. Er hatte seinen Körper nicht mehr unter Kontrolle, betrachtete sich mit großen Augen im Spiegel und hatte das Gefühl, bereits einen anderen Menschen zu sehen, obwohl das nicht stimmte.
Er hörte sich stöhnen und merkte auch, dass seine Knie zu zittern begannen. Er musste sich jetzt stärker festhalten und wartete, bis dieser Anfall vorbei war.
Als er wieder in den Spiegel schaute, stellte er fest, dass seine Haut glänzte. Von der Stirn bis hin zum Kinn wirkte das Gesicht wie eingeölt, aber es war kein Öl, sondern der blanke Angstschweiß, der ihm aus allen Poren gedrungen war.
Es ging wieder. Er hatte sich einigermaßen im Griff, auch wenn sein Atem aus dem Mund pfiff. Es musste einfach gehen. Er durfte sich nicht gehen lassen. Noah dachte daran, dass er immer ein Kämpfer gewesen war. Er hatte sich noch nie gehen lassen, wenn es Probleme gab, und das würde auch jetzt nicht anders sein.
»Ich lasse es nicht zu!«, flüsterte er seinem Spiegelbild zu. »Ich werde dagegen ankämpfen, und ich werde es schaffen. Das bin ich mir einfach schuldig. Und wenn ich nur der einzige Mensch bin, der es versucht, aber das ziehe ich durch.«
Seine Augen funkelten. Er freute sich darüber, dass sie noch das gleiche Aussehen hatten wir am vergangenen Tag. Noch steckte ein Kraftpotenzial in ihm, und das musste er erwecken. Dann würde er es unter Umständen schaffen, dagegen anzugehen.
Aber wie?
Allein?
Plötzlich beschäftigte ihn diese Frage, und er gab zu, dass es sehr schwer war, da eine Lösung zu finden. Wenn er es nicht allein schaffen sollte, benötigte er Hilfe, und so stellte sich die Frage, an wen er sich wenden konnte.
Darüber dachte er nach, als er seine Kleidung überstreifte. Ihm schoss einiges durch den Kopf. Nur musste er einsehen, dass ihm niemand einfiel.
Es musste eine Person sein, der er vertraute. Viele Freunde hatte er nicht. Okay, es gab im Institut einige Leute, mit denen er sich recht gut verstand, aber das war auch alles. Private Bindungen gab es nicht zwischen ihnen.
Das sah nicht nach einer Lösung aus. Er lebte hier zu einsam, und deshalb war sein Kontakt mit anderen Menschen auch nicht so stark.
Plötzlich kam ihm eine Idee.
Ihm fiel ein, dass er, als er seinen Hund noch besessen hatte, mit ihm einige Male eine Tierärztin aufgesucht hatte.
Sie
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