1593 - Der Hexentöter
begleitet, entstand plötzlich ein Umhang aus Flammen, der seinen Körper wie ein feuriger Mantel umgab.
Chinok brannte, das war zu sehen.
Aber er verbrannte nicht!
Er stand vor Sheena und breitete die Arme aus, als wäre er eine brennende Vogelscheuche.
Jeder Mensch hätte geschrien und versucht, die Flammen an sich zu ersticken, nur diese Gestalt nicht.
Sheena sah, dass Chinoks Worte der Wahrheit entsprachen. Der Hexentöter spielte mit dem Feuer. Es war aus ihm hervorgekommen. Er hatte es in sich, ohne dass es ihn verbrannte.
Das war der reine Wahnsinn!
Sheena hatte ihre Augen weit geöffnet. Sie wartete auf eine Erklärung, aber sie erhielt sie nicht - oder anders, als sie es sich gedacht hatte, denn Chinok wollte sie.
Nicht eine Feuerzunge erlosch. Die Flammen blieben, auch als sich Chinok bückte, um sich der Frau noch mehr zu nähern.
Und diesmal erhielt Sheena die Bestätigung. Sie hatte sich schon in den letzten Sekunden gewundert, dass sie keine Hitze verspürte. Das Feuer gab viel Rauch ab, aber die normale Hitze war überhaupt nicht vorhanden.
Chinoks Gesicht zitterte, weil es hinter dem dünnen Feuervorhang verschwunden war. Es sah aus, als wollte sich die Gestalt auflösen, was jedoch nicht geschah. Dafür schob er sich immer mehr auf sie zu und streckte ihr seine Hände entgegen.
»Komm hoch!«
Sheena schüttelte den Kopf.
»Los, ich will, dass du aufstehst! Es wird die letzte Bewegung in deinem Leben sein.«
»Nein - nein…«, würgte sie hervor. Sie hatte jetzt das Gefühl, als würde die Knochenklaue des Sensenmanns unsichtbar über ihrem Kopf schweben und nur darauf warten, zupacken zu können.
Dafür griff Chinok zu. Er wollte sich auf keinen Fall eine Blöße geben.
Diese Hexe sollte nicht durch sein Messer sterben, sondern durch das Feuer.
Ein lauter Schrei verließ den Mund der Hexe, als sie auf die Beine gezogen wurde. Sie schüttelte sich, um den Griff der beiden Klauen loszuwerden, und während sie das tat, spürte sie zum ersten Mal den mächtigen Hitzestoß.
Ich brenne!
Das war wie ein innerer Schrei. Er dauerte Sekunden an, dann hörte sie Chinoks Lachen und spürte, wie sie nach vorn geschleudert wurde, und zwar genau auf die Tür des Lokals zu.
Es wäre genau der Fluchtweg gewesen, den sie sich gewünscht hatte, aber nicht als lebende Fackel auf zwei Beinen, wie das jetzt der Fall war.
Sie schrie. Etwas trieb sie an. Eine Kraft, über die sie nicht nachdachte.
Sie sah die Tür vor sich. Plötzlich vergaß sie die schlimmen Schmerzen, denn es zuckte ein Gedanke in ihr auf, obwohl sie im selben Moment das Gefühl hatte, als würde ihr die Haut bei lebendigem Leib vom Gesicht gezogen.
Das Wasser!
Hinter der Tür lag der Fluss. Wenn es noch eine winzige Chance gab, zu überleben, dann dort.
Sheena riss die Tür auf. Sie spürte die Kälte nicht, sie spürte gar nichts mehr. Sie hörte das Fauchen der Flammen als Echos in ihren Ohren und verspürte grausame Schmerzen, die sie trotzdem nicht zusammenbrechen ließen.
Mit dem Rest der ihr verbliebenen Kraft warf sie sich über die Schwelle auf den Steg, der an den Seiten von Gittern flankiert wurde.
Sheena wuchtete ihren Körper nach links. Sie brannte vom Kopf bis zu den Füßen und gab sich einen letzten Stoß, der sie kopfüber nach vorn schießen ließ.
Sie fiel dem Wasser entgegen, das hier am Ufer recht flach war, aber trotzdem über ihrem Körper zusammenschlug…
***
Ich sah Suko an, dass er genauso angespannt war wie ich.
Es war Tatsache, dass in dieser Stadt jemand unterwegs war, um Menschen zu töten, weil er sie für gefährliche Hexen hielt.
Und das durften wie einfach nicht zulassen.
Diese Gedanken beschäftigen Suko und mich, aber ich dachte auch an etwas ganz anderes. Dabei spielte die Schattenhexe Assunga eine Rolle.
Wie war es möglich, dass ausgerechnet sie, die so viel Macht hatte, sich an uns wandte, damit wir ihr halfen? Was hielt sie davon ab, selbst gegen den Hexenjäger vorzugehen?
Das war für mich ein Rätsel, und ich hoffte, dass es mir gelingen würde, es zu lösen. Es bereitete mir keinen Spaß, für sie die Kastanien aus dem Feuer zu holen.
Südlich der Westminster Bridge lag unser Ziel. Aber nicht zu weit. Wir sahen vor uns das mächtige Gebäude der Houses of Parliament. Daran mussten wir noch vorbei und in eine Gegend, in der es ein wenig ruhiger war. Besonders um diese Zeit und bei trübem Wetter bevölkerten nicht viele Touristen die Stadt.
Wo genau unser Ziel lag,
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